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Die Purpursegel

Drama, Frankreich/Italien/Deutschland 2022, 105 min

Kinematografie ist Hexenwerk. Aus einem Gedanken wird ein Wort, aus Worten ein Buch, und holen wir noch zwei Dutzend Gewerke hinzu und nehmen eine 16mm-Kamera in die Hand, um ihr Treiben zu beobachten, entsteht im besten Falle Magie. »Das Purpursegel« schrieb 1923 der Russe Alexander Grin, die 16mm-Kamera hielt jetzt Pietro Marcello in seinen Händen, und wenn letzterer das russische Märchen nach Frankreich verlegt, in die Zeit zwischen den beiden großen Kriegen, und aus dem Schiff mit den roten Segeln einen jungen Piloten macht, der quasi vom Himmel fällt, hoppla, dann beginnt die Leinwand zu funkeln. Mit Magie haben die Dorfbewohner nach dem Ende des 1. Weltkrieges nichts mehr im Sinn, als Raphaël (Raphaël Thiéry) heimkehrt aus der Schlacht und die Nachbarin (Noémie Lvovsky) ihm die vermeintliche Tochter in den Arm legt, verbunden mit der Nachricht, dass Raphaëls Frau gestorben sei. Was folgt, sind staubtrockene Jahre der Entbehrung, Raphaël bleibt auf dem Hof, packt an, Juliette (Juliette Jouan) wächst und bekommt vom Vater Holzspielzeug geschnitzt, das die beiden auf dem Markt verkaufen. Das Klavier in der Scheune besitzt für den Kriegsveteran mehr als nur einen Heizwert, er lehrt seine Tochter die Magie der Musik, und so kommt eines zum anderen. Dem jungen Mädchen begegnet im Walde eine alte Hexe, die ihm die titelgebende Prophezeiung weissagt. Sähe sie einst rote Segel am Himmel, komme ein Prinz, und wenn sie ihn packte, ihn und ihr Schicksal ergriffe, fest mit beiden Händen, dann lebten sie wohl glücklich bis ans Ende ihrer Tage.

Dem Italiener Pietro Marcello fliegen die Stoffe zu, die magisch und realistisch sind, er begann mit Dokumentarfilmen und reicherte diese an mit fantastischen Elementen. Oder griff 2020 beherzt nach Jack Londons »Martin Eden« und ließ dessen Geschichte durchs frühfaschistische Italien der 1920er Jahre mäandern. Im vorliegenden Fall gefällt es ihm, aus der schlichten Märchenprinzessin vom Dorf eine selbstbestimmte, selbstbewusste Märchenprinzessin vom Dorf zu machen, die von dem sich rasch wandelnden Jahrhundert und von ihrem kleinen Flieger-Prinzen ordentlich durch die Luft gewirbelt wird; »L'envol« heißt der Film dann auch im Original.
alpa kino