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Passagiere der Nacht

Drama, Frankreich 2022, 111 min

Das Filmplakat zu »Les passagers de la nuit« möchte gern ein paar Sekunden länger betrachtet werden als die meisten seiner Mitbewerber. Es offenbart in dieser Zeit womöglich etwas von dem zunächst versteckten und später mit ganzer Kraft zupackenden Charme dieses Filmes. Die Stadt ist groß, die Menschen klein, und die besten Tage im Leben sind die Nächte. Wie jene vom 10. Mai 1981, als halb Frankreich im Begriff ist, den Wahlsieg der Linken um François Mitterrand für eine Nacht lang ausgelassen zu feiern. Elisabeth (Charlotte Gainsbourg) zieht sich den kollektiven Taumel an wie einen schützenden Mantel, da die Mutter von zwei Kindern gerade von ihrem Mann verlassen wurde. Der Wunsch, den beiden Teenagern wenigstens ihr geliebtes Zuhause erhalten zu können, treibt sie hinaus in die Nacht, wo sie Arbeit findet beim Radiosender ihres Herzens. Besser noch, bei dem nächtlichen Talkformat »Les passagers de la nuit«, wo sie als Telefonistin ihrer Chefin Vanda Dorval (Emmanuelle Béart) künftig die vielversprechendsten Anruferinnen weiterleiten darf. Schnell lernt das Radioteam die Zurückgenommenheit der neuen Kollegin zu schätzen, mit der diese treffsicher Spektakuläres und Banales in die Warteschleife schickt und statt dessen nach mehr Wahrhaftigkeit Ausschau hält. Klar, dass die obdachlose Talulah (Noée Abita) in einer dieser Radionächte bei Elisabeth einschlägt wie der buchstäbliche Meteorit. Weder ihre Punk-Attitüde noch ihre Streetwise-Aura können verdecken, dass die Achtzehnjährige vor allem ein einsames Mädchen ist. Welches daheim bei Elisabeth alles auf den Kopf stellen wird. Die Essens-, und die Schlafenszeiten, die Balance von Gesprächen, das Gefühl von Solidarität, die Vibration von Emotionen und nicht zuletzt das Liebesleben von Familienmitgliedern. Mal vorsichtig und mal provokativ tasten alle gegenseitig ihre Gefühle nach etwas Brauch- oder Haltbarem ab. Und merken erst Jahre später, das Schönste, das einem andere Menschen schenken können, ist gemeinsam verbrachte Lebenszeit. Quasi Facetime als analoges Glück. Regisseur Mikhaël Hers wendet einen einfachen wie genialen Trick an, um seinem Publikum diese wichtige Lektion nahe zu bringen; er schickt uns zurück in unsere Kindheit. Zurück zum Anfang der achtziger Jahre, als Jugendliche im Kino gemeinsam Rhomer-Filme ansahen, als atmosphärische Störungen noch Teil der Radioübertragung waren und Gespräche ganz ohne digitale Verfremdung geführt wurden.
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