A History of Violence

Drama/Thriller, USA/Kanada 2005, 96 min

1956 musste sich C.E. Balestrero (Henry Fonda) als vollkommen unbescholtener Bürger seiner Haut erwehren. Unter Mordverdacht stehend, war er einfach „der falsche Mann“. In den Händen von Altmeister Hitchcock war dies ein denkbar spannender Stoff. Nahezu fünfzig Kinojahre später steht Tom Stall (Viggo Mortensen) mit einem Gewehr in der Hand mitten in seinem Coffee-Shop und hat soeben zwei landesweit gesuchte Mörder erschossen. In Notwehr, versteht sich. Im Vergleich zu C.E. Balestrero kann hier also nur bedingt die Rede vom „unbescholtenen Bürger“ sein. Selbst wenn Waffenbesitz und Notwehr mittels Waffengewalt per US-Gesetz geschützt sind. Toms ruhiges Kleinstadtleben gerät gehörig durcheinander. Er ist die Headline, der Aufmacher in den 8 Uhr Nachrichten und erregt somit auch die Aufmerksamkeit von Carl Fogarty (Ed Harris). Als der bei ihm reingeschaut hat, beginnt sich Toms Leben erneut im Kreis zu drehen. Doch dagegen war der Presserummel nur ein Kinderkarussell.
In David Cronenbergs neuem Film geht es um falsche Identitäten, um verschiedene Realitäten und um die Frage „Was wäre, wenn…?” Wenn wir alle in der Lage wären gewalttätig zu sein? Wenn wir alle einen dunklen Teil vor der Welt versteckten? Oder wir alle solch eine Geschichte, wie sie Cronenberg hier aufzeigt, zu unseren Albträumen zählen würden? Gekonnt setzt er eine typische amerikanische Familie im Mittelwesten gegen ebenfalls typische Ostküsten-Mafiosi. Wobei es Cronenberg allerdings vorzieht, für die Filmfassung von A History Of Violence statt italienischen Mafiosi eher irische Gangster an Toms Identität zweifeln zu lassen. Vermutlich sitzen nicht sehr viele irische Geldgeber in Good Old Hollywood.
Der irische Mobster Carl Fogarty hat gerade 15 Jahre im Knast abgesessen. Sein linkes Auge ist blind, über sein Gesicht zieht sich eine unansehnliche Narbe. Wenn er glaubt, in Tom Stall einen ehemaligen Feind namens Joey wiederzuerkennen, möchte man nicht mit Tom tauschen. Zwar könnte er einfach nur „der falsche Mann” sein, doch David Cronenbergs Achterbahnfahrt zu den Abgründen einer ganz normalen Familie hat gerade erst begonnen.
Michael Rudolph