Play your own thing - Eine Geschichte des europäischen Jazz

Dokumentation, Deutschland 2006, 93 min

Bei diesem Film kann jeder sein eigenes Ding machen. Alles ist erlaubt. Außer ‚bis vier zu zählen’, denn das ist unüblich beim Jazz. Sich treiben lassen, entspannt zuhören, Augen auf oder zu, völlig gleich. Obwohl der Wert einer gespielten Note beim Betrachten des Verursachers durchaus erheblich steigt, wie Regisseur Julian Benedikt zuletzt mit »Jazz Seen« bewiesen hat. Bei Benedikt kann man den Jazz sehen, auch hinter den Noten bzw. zwischen den Takes. Als habe er nur einen triftigen Grund gesucht, erneut achtundachtzig Minuten Kinoleinwand mit Blue Notes zu füllen, beschreibt Benedikt in seiner dritten Jazz-Doku, wie seit Ende des zweiten Weltkrieges eine neue, unabhängige und vor allem eine sehr vielfältige Jazz-Szene in Europa entstand. Hört man Coco Schumann oder Albert Mangelsdorff, dann erfährt man von den Anfängen in den dreißiger und vierziger Jahren. Selbstverständlich schwappten der Swing und der Jazz bereits Anfang des vorigen Jahrhunderts auch nach Europa. Doch erst die Befreiung 1945 durch die Alliierten erlaubte der jungen musikalischen Pflanze eine echte Blüte, den frischen Dünger und guten Boden brachten die GI’s jedenfalls gleich mit. Ob im existenzialistischen Paris der fünfziger Jahre, im DDR-Untergrund der Sechziger, im selbstbewussten Polen der Achtziger oder dem spröden Skandinavien der Neunziger, immer neue Triebe wurden sorgsam gehegt, gepflegt, verschnitten und weiterentwickelt. Dabei fällt selbstverständlich ins Auge und Gewicht, dass in der „alten Welt“ ein sehr viel aufmerksameres Publikum herangewachsen ist. Was in den USA Broterwerb, Nebengeräusch oder schlicht Kommerz bedeutet, gilt in Europa als Kunstform. Und wie immer in der Kunst muss man nicht alle Noten mögen, die dabei gespielt werden, doch dem Zauber kann man sich nur schwer entziehen. Auch muss man nicht von diesem oder jenem unbedingt ein Fan sein. Zu vielfältig und bunt ist die Schar der Saitenzupfer, Tastendrücker oder Klappenbediener. Und wer für Juliette Greco oder Joe Zwainul, Mangelsdorff oder Gordon noch zu jung ist, der lauscht eher Till Brönner, Stefano Bollani und Manfred Eicher. C. Fredo
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