ostPunk! Too much Future

Dokumentation, Deutschland 2006, 93 min

Normalerweise funktionieren Trends oder kultureller Erscheinungen meist so: Irgendein Verrückter lässt in den USA einen lustigen Pups, dieser braucht anschließend ca. 10 Jahre, um mit dem Golfstrom nach Europa zu gelangen. Als es die DDR noch gab, benötigte dieser dann noch einmal 10 Jahre, um den antifaschistischen Schutzwall, sprich die Mauer, zu überwinden. Die simpelste Variante war dabei der Transfer über den Äther. Hinderlich war allerdings für den trendbewussten Dresdner seine tiefe Wohnlage im Tale, da so einige Novitäten über ihn einfach hinweg pfiffen und es meist noch einmal 10 Jahre dauern konnte. Dann aber war man meist zum angepassten Arschloch mutiert und fand alles Andersartige zutiefst verachtungswürdig. Glücklicherweise gab es auch hier ein paar Verrückte, die sich mächtig gewaltige Rundfunkanlagen unters Dach zimmerten, um auch z.B. in Sankt Löbetau (Löbtau) die freien Stimmen dieser Welt zu hören. Einer von ihnen war Lutz Friedo, durch den ich bereits 1978 das große Privileg hatte, eine Punkkassette (Tape) mein eigen nennen dürfen. Da waren dann neben einschlägigen Songs von den Pistols, Sid Vicious oder Sham69 auch solch erfrischende West-Berliner Punk-Statements wie »Folta füa John Travolta« drauf. Leider riss dann einerseits mein Punknachschub ab und andererseits stand ich mit dieser Musik so ziemlich allein da, so dass aus mir doch nicht der erste Dresdner Punk wurde und ich mir meine eigene verrückte Welt außerhalb des neuen Trends schaffen musste. Erst drei Jahre später wurde das ein anderer namens „Hortel“, der mit einer drei- oder sogar noch wenigersaitigen Gitarre ein Kassette mit dem erhellenden Titel „Ahoo Ahoo“, was phonetisch äähuu äahuu gegröhlt wurde, besang. Inhaltlich war der Titel in sogenanntem Arbeitsenglisch (pseudoenglisch) gehalten, was damals in Ermangelung von Sprachkenntnis so üblich war. Nach dem Solisten „Hortel“ formierten sich nun in unserer Stadt ein paar wenige Bands wie ROTZJUNGEN, SUIZID, oder PARANOIA, deren Protagonisten in den letzten 15 Jahren teils die Reanimation zum Bürger überstanden haben und mittlerweile die Lyriks ihrer Lieder sie eingeholt zu haben scheinen. „Too much Future - Punk im Osten“ ist ein lobenswert filmischer Versuch, die Geschichte des DDR-Punks für unwissend Interessierte und Menschen mit der Ungnade der späten Geburt in ein kleines aber doch informatives Kinolicht zu rücken. Die ganze Erkenntnis wird es aber nicht werden, denn wie wir seit 1993 wissen: „Die Wahrheit liegt da draußen“. Eine Wahrheit ist aber gewiss: Das vergammelt alkoholisierte Abhängen im abgewohnten Punkkostüm vor Neustädter Verkaufseinrichtungen bis zum Verlust der Muttersprache und unkontrolliertem Stuhlgang hat rein gar nichts mit Punk zu tun, sondern ist einfach nur Ba Ba. Da haben dann doch einige Teilnehmer den 84er PARANOIA-Song „Coschützer“ zu ernst genommen: „…Coschützer Coschützer das beste Bier der Welt, Coschützer Coschützer solang die Leber hält“
Prost, Euer Ray van Zeschau
Ray van Zeschau

Buch: Michael Boehlke, Henryk Gericke

Regie: Carsten Fiebeler

Darsteller: Protagonisten: Cornelia Schleime, Colonel, Daniel Kaiser, Bernd Stracke, Mita Schamal, Mike Göde

Kamera: Robert O.J. Laatz

Produktion: Egoli Tossell, Koppmedia, Jens Meurer, Christiane Thieme

Bundesstart: 23.08.2007

Start in Dresden: 23.08.2007

FSK: ab 12 Jahren