Dem Himmel ganz nah

Dokumentation, Deutschland/Rumänien 2010, 97 min

Es ist Sommer, die Bienen summen, die Luft flirrt, der Schäfer ist auf seiner Alm beschäftigt. Was nach Naturdoku klingt, die auch im Fernsehen laufen könnte, ist weit mehr als man mit Worten beschreiben kann: eine schwarz-weiß gedrehte Beobachtung des Jahreskreislaufs in den rumänischen Karpaten, fast zeitlos die Menschen und ihre Arbeit. Der Schäfer, mit einem dicken Schafsfell über den Schultern, schert, melkt und schlachtet die Tiere und gibt seinem 16-jährigen Sohn das Wissen weiter. Er ist nicht sehr gesprächig, außer wenn er seinem Sohn alte Mythen erzählt und sich wundert, dass der noch nie davon gehört hat. Selbst wenn er gar nicht sprechen würde - der Film lebt vom Beobachten seiner Tätigkeiten und der fantastischen Landschaft. Vor- und Abspann legen nahe, dass der als Regisseur fungierende Titus Faschina auch den Kameramann Bernd Fischer letztlich als „Filmemacher“ verstanden wissen möchte. Entstanden ist dieser visuell sehr starke Film, bei dem man die Farbe nicht eine Sekunde vermisst.
In was für einer Welt lebt die Familie Stanciu? Leicht erliegen wir der nicht-elektrifizierten Idylle, doch immer wieder wird klar, dass die einfachen Mittel letztlich der Armut geschuldet sind. Keine landwirtschaftliche Errungenschaft des 20. Jahrhunderts hat hier bisher Einzug gehalten. Schäfer Dumitru berichtet außerdem von Problemen mit Wölfen, die die Schafe reißen und den nicht mehr vorhandenen Nachbarn, mit denen man zusammen solchen Gefahren begegnen könnte. Der Sohn hat schon eine Weile keine anderen Kinder zum Spielen auf der Alm, alle zogen sie ins Tal. Doch: „es liegt alles in Gottes Hand“, findet Dumitru und sein Sohn geht zwar in der Stadt in die Schule (was ihn mehrere Stunden Fußmarsch und Busfahrt kostet), aber dort zu leben, kann er sich nicht vorstellen. Zu unfrei.
Wie man auf den Almen der Karpaten lebt und arbeitet, ist allerdings in Zeiten der EU-Mitbestimmung keine private Entscheidung mehr. Bereits heute verkauft die Familie den Käse unter der Hand, weitere einschneidende Veränderungen stehen vor der Tür. Doch viele dieser Hintergrundinformationen fließen nicht explizit in den Film ein, sie sind auch so zu spüren, während man dem vermeintlich archaischen Leben der Familie Stanciu zuschaut und Dumitru sagen hört: „Es gibt keine Zukunft, keine Chance“. »Dem Himmel ganz nah« ist ein sehenswertes filmisches Denkmal einer aussterbenden Tradition und Kultur.
Petra Wille
Petra Wille

Buch: Titus Faschina

Regie: Titus Faschina

Kamera: Bernd Fischer

Musik: Alexander Balanescu

Produktion: ma.ja.de. Filmproduktion, Europolis Film, MDR, Arte, Heino Deckert, Thomas Cuilei

Bundesstart: 13.10.2011

Start in Dresden: 17.11.2011

FSK: ab 6 Jahren