28. Mai 2014

Pro und Contra »Stereo«

Was für ein Trio: Vogel, Friedrich & Bleibtreu
Pro und Contra »Stereo«
Was für ein Doppelpack: Jürgen Vogel und Moritz Bleibtreu hat man bisher nur selten zusammen vor der Kamera gesehen. Ob es auch genügt, um „Stereo“ zu einem guten Film zu machen? Darüber ist sich die Redaktion des Kinokalender Dresden uneins.

Jürgen Vogel wirkt als Schrauber Erik ein bisschen wie Lucky Luke. Was dem Cowboy sein Pferd, ist dem Biker sein Motorcycle. Und es stellt sich bald heraus, dass er genauso rasch zuschlägt, wie Lucky schießt – schneller als sein Schatten. Poor and lonesome sind sie auch beide. Doch Erik will diesen Zustand beenden. Mit einer Flucht nach vorn - in die Arme seiner Wahlfamilie, einer attraktiven Anfangdreißigerin namens Julia (Petra Schmidt-Schaller) und deren reizender Tochter Linda, die den neuen Freund der Mutter sehr passend „Oberlöwe“ tauft. Der gibt sich zahm, holt die Kleine vom Kindergarten ab und genießt die ländliche Idylle, samt mediterran wirkendem Häuschen. Selbst vom stichelnden Polizisten-Vater (Rainer Bock) lässt er sich nicht gleich aus der Ruhe bringen.

Doch der fühlt ihm auf den Zahn und legt den Finger in die Wunde. Der neue Freund der Tochter ist nicht nur ein ölverschmierter Verkehrssünder sondern offensichtlich schwer traumatisiert von einer nicht salonfähigen Vergangenheit. Verdrängung funktioniert halt nicht auf ewig. Henry (Moritz Bleibtreu) taucht auf und zwingt Erik, seinem größten Feind ins blutunterlaufene Auge zu blicken: Gegner Ich. Aber da man sich nicht gern selbst auf die Mütze haut, schlägt Erik irgendwann ungebremst auf die Gangster ein, die den Weg in die Vergangenheit pflastern und keine Ruhe geben. Er zieht den Stecker, sprich die Akupunkturnadel der Geistheilerin Frau Saurion (Valery Tscheplanowa), und lässt die dunklen Triebe fließen. Die gewalttätige Sau darf raus, natürlich nur, um die neuen Werte zu verteidigen. Als da wäre: die Kleinfamilie. Maximilian Erlenwein erzählt seine Story erfrischend direkt. Er zelebriert und zitiert Genreklischees, was das Zeug hält und gönnt sich gelegentlich auch ein kleines ironisches Augenzwinkern. Keine Befindlichkeiten!

So scheitert »Stereo« nicht am in Deutschland so oft durch die Hintertür herein getragenen Arthouse-Anspruch. Klar, wenn Kapuzenträger Henry, der wilde Burschi, Eriks Liebste immer wieder als „Alte“ tituliert, ist man schon versucht, aufzustöhnen: Geht’s nicht ein bisschen differenzierter? Aber genau in diese Falle ist Erlenwein nicht gegangen. Großartig spielt der Österreicher Georg Friedrich den sinistren Superluden Keitel, Eriks einstigen Compagnon. Garniert mit den üblichen Zutaten (Jacuzzi, Marmor, Frischfleisch) – alles ganz pur und zugleich witzig in Szene gesetzt. Keitel verströmt den schillernden Charme einer Schmeißfliege, so ekelhaft anziehend, wie seinerzeit Willem Dafoe in »Wild at Heart«, als er, Laura Dern die ausgesucht hässlichen Zähnen bleckend, ein „Fuck me“ abverlangte.

»Stereo« ist eine sehr testosteronhaltige Veranstaltung, keine Labertasche nirgends, viel Bizeps. IQ findet gut versteckt statt, weil nicht so sexy. Ein lupenreiner Psychothriller made in Germany, der Dank der großartigen Bilder (Kamera: Ngo The Chau) maximale Sogkraft entwickelt.
Grit Dora

Semi-Contra:

Vier Jahre ließ sich Maximilian Erlenwein für seinen »Schwerkraft»-Nachfolger »Stereo« Zeit. Vier Jahre, in denen er offenbar intensivstes Filmstudium betrieb, das ihn schließlich zu einem Drehbuch inspiriert hat, welches ganz offensichtlich die DNA von Werken wie »A History of Violence« oder „Take Shelter“ in sich trägt, ohne diese jedoch nur zu kopieren. Das verdient erst einmal Lob, denn wer sich in die Gesellschaft solch toller Genrevorbilder begibt, sollte besser was auf dem Kasten haben.

Erlenwein lässt sich dann auch tatsächlich nicht lumpen und geht schon mit der Eröffnungssequenz optisch in die Vollen. Bild, Schnitt und Musik: Hier passt alles und macht Lust auf mehr. Das kommt recht bald in Form des zunächst nur beobachtenden Henry (Bleibtreu), der sich sukzessive in das Heile-Welt-Leben von Erik (Vogel) drängt, verbale Abartigkeiten inklusive. Dass es sich dabei um eine Fantasiefigur Eriks handelt, macht der Film sehr schnell deutlich, weshalb ein Großteil des nun folgenden zweiten Aktes leider nur daraus besteht, auf den von Henry immer heftiger geforderten Ausbruch des scheinbaren Gutmenschen aus seinem Alltag zu warten. Als es dann endlich soweit ist, geht’s für den Zuschauer ab in eine (kriminelle) Unterwelt à la Sodom & Gomorrha, die Erik erwartungsgemäß nur unter großen Schmerzen und auch nur vielleicht wieder verlassen wird.

Dieser an sich recht einfache Storyverlauf ist zweifellos der größte Störfaktor in »Stereo«: Er will so gar nicht zu dem filmischen Aufwand passen, mit dem Erlenwein und sein Team für 95 Minuten ihr Publikum hypnotisieren. Nahezu perfekt aufeinander abgestimmte Bild-/Tonkompositionen, ein mitreißender Soundtrack (in wie vielen Filmen taucht Moderats „A New Error“ eigentlich inzwischen auf?), zwei wahnsinnig intensiv aufspielende Hauptdarsteller, und vieles mehr – all das untermalt letztendlich nur die ausgelutschte Geschichte des vergesslichen Ex-Gangsters, der seine Vergangenheit nicht abschütteln kann und aus Mangel an Selbstdisziplin ein letztes Mal den "Charles Bronson" raushängen lässt, indem er im Alleingang den Sündenpfuhl aufmischt.

Zum Glück – mit einem großen, fetten Ausrufezeichen versehen – nimmt Erlenwein die ganze Chose nicht allzu ernst und inszeniert die finale Konfrontation samt Oberbösewicht Keitel (Georg Friedrich) derart überhöht, künstlich und stilisiert, dass man in Ruhe die Klischees zählen kann, die sich darin ansammeln.

Das ist insofern bedauerlich, da »Stereo« somit den einfachsten und überraschungsärmsten Weg geht, um seine Geschichte zu Ende zu erzählen. Streckte das Drehbuch den Erwartungen des Publikums zuvor stets herzlich den Mittelfinger entgegen, gibt sich Erlenwein im Finale nun dem üblichen Schmonz hin und entlässt seine Zuschauer mit der misanthropischen Erkenntnis, dass der Wolf in uns allen schlummert und irgendwann ausbrechen wird – ganz gleich, wie sehr wir uns auch bemühen, unsere Triebe zu zügeln. Ganz toll, herrlich deprimierend.

Was bleibt, ist ein optisch außergewöhnlich guter Streifen, der filmisch zwar alles richtig macht, inhaltlich aber wenig Originelles zu bieten hat. Da ist noch Luft nach oben!

Csaba Lázár

http://stereo-derfilm.de