6. November 2014

Doppel Pro »Gone Girl – Das perfekte Opfer«

Das perfekte Date-Movie
Doppel Pro »Gone Girl – Das perfekte Opfer«
David Fincher macht das, was er als Filmemacher besser als viele andere kann: Er dreht einen Thriller.
Die Redaktion des Kinokalender Dresden ist sich diesmal einig.

Pro:
Der Mann auf dem Regiestuhl nennt sein neues Werk „das perfekte Date-Movie“. Ein Schelm, dieser David Fincher, beschäftigt sich sein »Gone Girl« doch mit der vermeintlichen Entführung einer Frau und der darauf folgenden Hexenjagd der Medien auf den Gatten, der auf die Tat seltsam teilnahmslos reagiert und schnell zum Mordverdächtigen wird. Romantik heißt bei Fincher: eine Waffe zum Valentinstag und Pärchen-Dialoge vom Kaliber „Wir sind so süß, ich möchte uns am liebsten ins Gesicht schlagen.“ Doch Finchers Selbsteinschätzung ist vielleicht gar nicht so ironisch gemeint, wie sie klingen mag. Denn in „Gone Girl“ wird sein Publikum nicht nur mit einer sehr spannend inszenierten Krimihandlung á la „War er’s oder war er’s nicht?“ verwöhnt, sondern ebenso mit einer herrlich bösen Dekonstruktion eines Konzepts namens „Ehe“.

Was denkt mein Partner? Ist er ehrlich zu mir? Oder verstellt er sich, nur um mir zu gefallen? Hand aufs Herz, liebe verheiratete Leser: Diese Fragen gingen euch auch schon mal durch den Kopf, gell? Zumindest sollte es nicht erst nach fünf Beziehungsjahren geschehen, wie bei den Eheleuten Dunne. Nick (Ben Affleck) und seine Amy (Rosamund Pike) haben es nämlich vor lauter Glücklichsein und so-tun-als-ob irgendwie verschwitzt, mal die Gusche aufzumachen und Tacheles zu reden. Nun ist Amy verschwunden und Nick hat nichts Besseres zu tun, als mit fremden Mädels Selfies zu machen. Bevor der Mob (und damit sind auch wir Zuschauer gemeint) nun losschlagen kann und den ach so bösen Mann ans Kreuz nagelt, präsentiert uns Fincher aber erstmal die ganze Vorgeschichte nochmals aus Amys Sicht – und bätsch, sie war nicht unbedingt die Traumfrau, für die wir sie so gern gehalten hätten. Es ist ja aber immer so schön leicht, sowohl bei der Partnerwahl als auch bei der Bewertung eines fremden Menschen nur auf die Oberfläche zu achten.

So funktioniert »Gone Girl« gleichsam als packendes Knobelstück zum Mitfiebern und als kleines Lehrstück zur menschlichen Natur. Kommt dann noch eine Pressemeute dazu, die Emotionen vor gewissenhafte Recherche stellt, darf das gern als kritischer Kommentar zur Gesellschaft und unreflektierten Rezeption von Medien interpretiert werden. Ganz großes Kino!

Das bietet übrigens ebenso das Hauptdarsteller-Gespann Affleck/Pike. Während Ersterer seinen „Ich habe keine Ahnung, was hier gerade geschieht“-Blick perfektioniert, darf Pike nacheinander sexy Verführerin, coole Partnerin, durchtriebenes Luder und egoistisches Miststück sein. Ganz ehrlich: Bei so einer Frau wirkt die Waffe zum Valentinstag gar nicht mehr so abwegig. Als kleinen Bonus obendrauf gibt es in der zweiten Hälfte dann noch den wahrscheinlich größten derzeit existierenden Frauenexperten von Welt in einer erinnerungswürdigen Nebenrolle zu sehen: Neil Patrick Harris, bekannt als Barney Stinson in der erfolgreichen TV-Sitcom „How I Met Your Mother“, versetzte beim ersten Auftritt auf der Leinwand meine Sitznachbarin derart in Verzückung, dass ihr sogleich ein liebevolles Quicken entsprang. Das änderte sich dann mit zunehmender Laufzeit sehr schnell. Hätte sie ihn mal lieber nur als den Womanizer im Fernsehen in Erinnerung behalten…
In Momenten wie diesem sehe ich Fincher förmlich kichernd hinter dem Projektor sitzend, stolz auf seine fiesen Szenen mit tiefschwarzem Humor und dem siegessicheren Grinsen im Gesicht, einmal mehr etwas „Schönes“ zerstört zu haben – sei es wie hier die Vorstellung von der ewigen Liebe und Romantik in einer harmonischen Ehe, das zerboxte Gesicht von Schauspieler Jared Leto alias „Angel Face“ im Film »Fight Club«, der coole Mythos des Online-Riesen Facebook in »The Social Network«, oder das ansehnliche obere Ende von Aktrice Gwyneth Paltrow in »Sieben«. Apropos: Deren Beziehung zu Co-Star Brad Pitt war kurz nach Ende der Dreharbeiten auch im Eimer. Herr Fincher, was sagen sie dazu?
Fazit: »Gone Girl« ist ein Riesenspaß für Singles und frisch Geschiedene. Wer hingegen gerade an seiner Beziehung zweifelt, könnte sich entweder in Nicks oder Amys Figur wieder finden – beides nicht wirklich erstrebenswert. Und für all jene, die »Gone Girl« wie vom Regisseur empfohlen tatsächlich für die erste Verabredung mit einem potenziellen Partner wählen: Genießt es, trinkt anschließend viel Alkohol und verliert nie wieder ein Wort über diesen Film!
Mit besten Empfehlungen, ihr Beziehungsberater Csaba Lázár

Doppel-Pro
Die schnöde Anwesenheit Ben Afflecks in einem Film war mir bisher Grund genug, nicht ins Kino zu gehen. Die grundlose Abneigung gegen ein Allerweltsgesicht halt. In der großen Beziehungsanbahnungsszene von »Gone Girl« holte mich diese Idiosynkrasie noch mal kurz ein, nein, dachte ich wider besseres Wissen, Amy (Rosamund Pike) meint doch jetzt nicht etwa ihn, diesen tumben Trottel, wo doch tausend bessere drum herum stehen. Sein Gorilla-mäßiges Armgeschlenkere, seine dämlichen T-Shirt- und Herrenoberhemdkombinationen (Kostümbild Trish Summerville), das ganze Pseudorumgeprolle. Dieser Aufwand an aufreizenden Banalitäten für einen romantischen Kuss im Zuckersturm. Aber eben weil er Mr. No Name respektive den klassischen Otto Normalverbraucher so perfekt gesichtslos verkörpert, ist Affleck die Idealbesetzung für Nick Dunne, den in vielerlei Hinsicht geprellten, aber keineswegs schuldfreien Ehemann der vermissten Amy. Wenn er dann am Schluss leicht diabolische Züge bekommt, wirkt Afflecks Nick regelrecht gefährlich und befindet sich urplötzlich auf Augenhöhe mit seiner ebenso gescheiten wie durchgeknallten Frau. Insofern ist Gillian Flynns Bestseller auch der Entwicklungsroman eines Mannes, dem seine Gattin zu Recht sagt, dass er ohne sie nur ein sagenhaft langweiliger Typ geblieben wäre.

Rosamund Pike spielt die komplizierte Amy mit der schweren, von den Eltern übel vermarkteten Kindheit, so glaubwürdig, dass sie trotz ihrer atemberaubenden Optik für männliche Stoßseufzer der anderen Art im Publikum sorgt. Frauen, die sich derart vertrackte Schnitzeljagden ausdenken, sind hochgradig interessant und sexy. Vor allem aber sind sie irre anstrengend. Das hält auf Dauer kein Typ aus, der nicht Lyriker ist. Nicks Seitensprung mit der süßen Andie (Model Emily Ratajkowski), dem Mädchen mit den „Komm-auf-mir“-Titten (O-Ton Gillian Flynn bzw. Amy) ist als reine Notwehr nachvollziehbar. Dass Nick beim Anbaggern die gleiche Romantiknummer durchzieht, wie vier Jahre zuvor bei Amy, spricht für seine, äh, Geradlinigkeit. Warum nicht, wenn’s doch schon mal so gut funktioniert hat. Da ist er wieder – der spießige Hipster, den Affleck in »Gone Girl« wirklich genial vorführt. Ein Wunder, dass nicht ihn das Teppichmesser trifft. David Fincher hat ihn perfekt besetzt.

Auch in der Crew saßen wieder die richtigen Leute. Unbedingt erwähnt gehören Trent Reznor (»Nine Inch Nails«) und Atticus Ross. Für die Filmmusik zu »The Social Network« erhielten sie den Academy Award 2011. Von mir aus 2015 gern wieder.
Grit Dora