30. Dezember 2014

Pro und Contra »The Zero Theorem«

Terry Gilliam schickt Christoph Waltz auf die Suche nach dem »Sinn des Lebens«
Pro und Contra »The Zero Theorem«
Ex Monty Python Terry Gilliam schickt Christoph Waltz auf die Suche nach dem »Sinn des Lebens« und sorgt in der Redaktion des Kinokalender Dresden für Verwirrung.

Semi-Pro:
Stell dir vor, du startest eine Revolution und keiner merkt es. Komiker- und Regielegende Terry Gilliam, dessen neuer Film Ende November in den hiesigen Kinos startete, dürfte dieses enttäuschende Gefühl bekannt vorkommen. Denn »The Zero Theorem« bietet nicht nur erstmalig einen glatzköpfigen Waltz als Hauptdarsteller, sondern ist „the first one-size-fits-all full frame semi-vinyl motion picture“, wie es Gilliam bei der Premiere mit einem breiten Grinsen im Gesicht selbst formulierte. Das Besondere: Ähnlich wie in den Anfangszeiten des Kinos sieht der Zuschauer nämlich den kompletten, unzensierten Bildausschnitt, so wie ihn das Kameraauge eingefangen hat. Zu erkennen ist das unter anderem an den abgerundeten Ecken des Filmstreifens. Der Vorteil: Egal, auf welchem Medium »The Zero Theorem« jetzt oder später angeschaut wird (Leinwand, TV-Gerät, Tablet, Smartphone), keine Bildinfo geht verloren. Bisher ein Novum, dank Gilliam wohl demnächst Standard.

Wäre auch schade, wenn nicht alles zu sehen wäre, was der inzwischen 74-Jährige da wieder gezaubert hat. Denn wie man es von einem Magier wie Gilliam erwarten darf, ist sein melancholisches Sci-Fi-Drama ein optischer Hochgenuss. Mittendrin der allein stehende Qohen Leth (Waltz), der für seinen nicht weniger exzentrischen Arbeitgeber (Matt Damon) ein mathematisches Rätsel lösen soll und dafür tagein tagaus vor einer riesigen Wand aus Computerbildschirmen sitzt. Das unerwartete Auftauchen der im wahrsten Sinne des Wortes offenherzigen Bainsley (Mélanie Thierry) stellt Qohens Einsiedlerdasein jedoch völlig auf den blitzblanken, haarlosen Kopf.

»The Zero Theorem« könnte fast als die in einen Farbtopf getunkte Alternativversion von Darren Aronofskys »Pi« durchgehen. Ebenso wie die unendlich vielen bunten, blinkenden und leuchtenden Werbetäfelchen, die auf den Misanthropen Qohen eindreschen, konfrontiert Gilliam sein Publikum mit essenziellen Lebensfragen und führt uns gleichzeitig eine zwar überspitzte, aber doch sehr reale Version unseres Daseins im 21. Jahrhundert vor Augen. Besonders schön gelingt ihm das mittels einer Partyszene, in der sämtliche Gäste lieber auf ihr Tastenspielzeug blicken statt in das Gesicht der Mitfeiernden und offenbar überhaupt kein Bedürfnis verspüren, sich auch mal ihrer Kopfhörer zu entledigen. Neudeutsch werden solche Gestalten übrigens „Smartphone-Zombies“ genannt. Regisseur Gilliam selbst war nach eigener Aussage überrascht, als er nach den Dreharbeiten feststellte, dass solche Partys tatsächlich schon seit längerem existieren. Wer seine Gesellschaftskritik hingegen gern etwas subversiver mag, darf sich an anderer Stelle über den Verbotsschilderwald hinter einer Parkbank freuen, die Qohen bei einem seiner seltenen Ausflüge in die Öffentlichkeit besetzt: Vom Eis essen über Ball spielen bis hin zum Fahrrad fahren und Händchen halten decken die Schilder so ziemlich alles ab, was zur Entspannung im Freien beitragen könnte.

Abgesehen von diesen kleinen Exkursionen verweilt »The Zero Theorem« jedoch in Qohens Zuhause, nicht zufällig ein zerfallenes Gotteshaus. Hier füttert Gilliam seinen Helden mit undefinierbaren Mikrowellen-Gerichten und philosophischen Gedankenspielen über den freien Willen, eine gläserne Welt ohne Privatsphäre sowie Sinn und Unsinn von Religion. Eine Herausforderung nicht nur für Qohen, der in Bezug auf sich selbst stets die Wörter „uns“ und „wir“ benutzt, womit klar sein sollte, für wen er hier Pate steht.

Verkopft, anspruchsvoll, vielleicht ein wenig zu ambitioniert: Zum Ende des Kinojahres gibt es dank »The Zero Theorem« noch mal eine schöne dicke Kopfnuss zu knacken, die hoffentlich viele begeistert und nur wenige genervt zurücklassen wird. Am besten später noch mal aufm Handy angucken, schließlich ist es ja das „first one-size-fits-all full frame semi-vinyl motion picture“. Auf dass die Smartphone-Zombie-Armee weiter wächst!
Csaba Lázár

Contra

Große Erwartungen und einige Meilensteine der Filmgeschichte sind mit dem Namen Terry Gilliam verbunden. Verständlich, dass für viele ein neuer Film des Meisters als Offenbarung, zumal im Jahr nach dem größten Überwachungsskandal - ist der schon aufgeklärt? - empfunden werden muss.
Kurz gesagt, bin ich vom Abschluss der Orwell Trilogie eher enttäuscht. Die Voraussetzungen waren eigentlich die Besten. Eine Schar erlesener Schauspieler, darunter aktuelle Stars wie Christoph Waltz, Mélanie Thierry, Matt Damon, Ben Whishaw und Tilda Swinton spielen nach einem hervorragenden Drehbuch, und moderne visuelle Effekte ermöglichen eine nahezu perfekte Umsetzung auch der verrücktesten Ideen.

Es geht zumindest um alles: die Antwort auf eine der elementarsten aller Fragen, die nach dem Sinn unseres Daseins. Gesucht wird eine simple, aber griffige Antwort. Dass die in einer komischen grellbunten und mopsfidelen dystopischen Zukunft gestellt und auch beantwortet wird, ist vielleicht nicht das Problem. Es fehlen schlicht die Fallhöhe und der Schmerz der Tragödie. Die elementarste Grundlage für jede ans Herz gehende Geschichte ist einfach abwesend.

Christoph Waltz müht sich, zeigt sein ganzes Können, erweckt die Figur des exzentrischen Computergenies Qohen Leth aber nicht wirklich zum Leben. Mélanie Thierry darf das possierliche Gretchen geben, wirkt aber eher nuttig. So zieht sich das fort und der geneigte Zuschauer dringt nicht zu den Figuren durch, staunt über die Dialoge und kann der schlichten Story zwar folgen, aber ermüdet schnell von zu viel Vorhersehbarkeit und Allgemeinheiten.
Die wohl ironisch angelegten Szenen im Cyber-Sex-Paradies sind da symptomatisch. Die leichte Piefigkeit wirkt anfänglich irritierend, bringt aber das Dilemma auf den fehlenden Punkt. Super Darsteller und teils schöne Bilder machen noch keinen großartigen Film. Mersaw