26. November 2015

Überwachung ist böse

Pro und Contra »Spectre«
Überwachung ist böse
Das 24. Abenteuer des britischen Doppel-Null-Agenten lässt weltweit die Kassen klingeln.
Dienen die Tentakel eines Oktopus im Vorspann als Metapher für die glibberige Verschlungenheit des aktuellen 007 mit der spezifisch Bondschen Vergangenheit?
Ob qualitativ gerechtfertigt oder nicht, darüber ist sich die Redaktion des Kinokalender Dresden uneins.

Pro
»Spectre« hat 245 Millionen Dollar gekostet. Es lässt sehr gut nachvollziehen, wohin das Geld geflossen ist. In die großartige Animation des Vorspanns beispielsweise, in dem die Tentakel eines Oktopus als Metapher für die glibberige Verschlungenheit des aktuellen 007 mit der spezifisch Bondschen Vergangenheit dienen. In die gefühlten Millionen (tatsächlich immerhin 1.500) Statisten der Eröffnungsszene. Die ist mindestens genauso brillant wie in »Skyfall« - Regisseur Sam Mendes hat es geschafft, sich selbst zu toppen. Bonds Alleingang während des Volksfestes zum Día de los Muertos, dem Tag der Toten, ist eine fantastische Kostüm- und Actionorgie. Die perfekt romantisierte Illustration geheimdienstlicher Selbstjustiz. Bond handelt mal wieder im eigenen Auftrag.

Über den »Spectre«-Titelsong von Sam Smith, der bestimmt auch ein bisschen Geld bekommen hat, wurde schon im Vorfeld viel gelästert. Er stört nicht und bei Filmende hat man ihn eh vergessen. Letzteres gilt leider ebenso für den prägnanten, aber schlicht zu kurzen Auftritt Monica Bellucis als die Witwe des Mannes, den Bond im Hubschrauber über Mexico City tötet.

Bond killt auch die Killer der Killerwitwe und hat zum ersten Mal Sex mit einer gleichaltrigen Frau. Ein Novum im 007-Universum. Dann wird ihm, respektive den Drehbuchautoren, aber doch Angst ob dieses Wagnisses. James holt seinen Beschützerinstinkt aus der Hosentasche, rettet die ungefähr halb so alte Madeleine Swann (très chic - Léa Seydoux), Tochter des „blassen Königs“, eines an Gift verendenden Attentäters, und begibt sich mit ihr in die Wüste. Sie gehen nicht so weit, den Martini aus einem Glas zu trinken, teilen dann aber doch die Retrokoje im Schlafwagen. Soviel zum Töchter beschützen. Madeleine ist studierte Psychologin und kann das alles irgendwie einordnen. Als Gangstertochter zuckt sie nicht mit der Wimper, wenn Bond per Hubschrauber das Auto rammt, mit dem sie gerade entführt wird.

»Spectre« versprüht den Charme der guten alten Zeiten von und mit Sean Connery und überbietet ihn teilweise noch. Er punktet mit solider Action und phantastischer Optik, für die man diverse Logiklöcher gern billigend in Kauf nimmt. Dem furiosen Einstieg hält das Ende nicht stand, ab der Mitte schwächelt die Dramaturgie, wird aber aufgefangen von einer doppelten Portion Nostalgie und Gadget-Wahnsinn.

Die nicht so ganz taufrische Erkenntnis, dass Überwachung böse ist, vermitteln der böse Böse (Christoph Waltz als Franz Oberhauser) und der vermeintlich gute Böse (Andrew Scott als Denbigh), der als Bonds neuer Chef eigentlich der noch bösere Böse ist. Die sinistren Herren arbeiten mit allen Mitteln an der totalen Überwachung der Welt. bis sie Mr. Geheimagent in eleganter 60er Jahre Manier zum Teufel schickt. Ein herrlicher Mann von gestern eben, der wohl eigentlich in Rente gehen will. Daniel Craig hat mit seinen vier Bond-Interpretationen eine ziemlich runde Sache hingekriegt. Wenn der Hydra des Bösen die Köpfe nachgewachsen sind, muss wohl ein neuer ran. Idris Elba wird heiß gehandelt. Ben Whishaws Q könnte im nächsten Bond den Whistleblower geben, mit Moneypenny als Laura Poitras an seiner Seite. Alles im Auftrag Seiner/Ihrer Majestät, versteht sich.
Grit Dora

Contra (Achtung, enthält Spoiler!):
In seinen ersten Dienstjahren als Agent des Geheimdienstes MI6 war es nicht unüblich, dass mehrere Regisseure die Abenteuer des 007 inszenierten: Terence Young (drei Filme), Guy Hamilton (vier Filme), John Glen (fünf Filme). Sam Mendes hingegen hat nach seinem phänomenalen »Skyfall« zunächst gezögert, ein zweites Mal das Zepter in die Hand zu nehmen – aus gutem Grund: Er hatte den einstigen Superspion darin seelisch quasi nackig gemacht, ihn zu seinen familiären Ursprüngen zurückgeschickt und schließlich seiner Ersatzmama beraubt. Schluss. Aus. Finito. Mehr gab es nun nicht mehr zu erzählen, zumindest nicht mit dieser Bond-Version.

Hätte es Mendes mal lieber dabei belassen. Die fantastische Pre-Titel-Sequenz mal beiseite geschoben, ist »Spectre« nicht viel mehr als lautes, knallendes Blendwerk für eine halbherzig erzählte Geschichte vom allwissenden Überwachungsapparat. Da feiern sich die Produzenten im Vorfeld der Dreharbeiten für ihren Coup, endlich mal eine erwachsene Frau (Monica Bellucci) als Bond-Girl dabei zu haben, nur um diese in einer viel zu kurzen und vor allem viel zu unnötigen Szene zu verheizen. Ebenso überflüssig wie unsinnig präsentiert sich die Behauptung vom Bösewicht – den Christoph Waltz zwar gewohnt gut aber dennoch überraschungsarm gibt –, all jene Ereignisse in den drei Vorgängerfilmen seien auf seinem Mist gewachsen. So ein Quatsch! Oder vielleicht doch? Wer mir aus »Casino Royale«, »Ein Quantum Trost« oder »Skyfall« nur einen Hinweis auf Blofeld nennen kann, bekommt einen geschüttelten, nicht gerührten Martini von mir spendiert!

Den ärgerlichsten Moment in den 148-»Spectre«-Minuten jedoch stellt das „Verhör“ des gefesselten Bond durch seinen Widersacher persönlich dar: Glaubt man dessen Genuschel, so sind sämtliche bösen Taten der vergangenen Jahre, die er natürlich alle heimlich koordiniert hat, lediglich auf sein gestörtes Verhältnis zum gemeinsamen Papa zurückzuführen. Liebe Autoren, das ist Küchenpsychologie der billigsten Art und einem Franchise wie diesem nicht würdig! Wenn Mr. Bond anschließend, nachdem ihm beidseitig der Kopf mit einem Bohrer malträtiert wurde (hallo, »Hostel«!), aufspringt als sei nix gewesen, ist’s mit der Glaubwürdigkeit endgültig vorbei – ein erfreuliches Merkmal, das die Craig-Abenteuer bisher ausgezeichnet hatte.

Ausgezeichnet misslungen aber auch die Entscheidung, Andrew Scott (ja, der Moriarty aus der TV-Serie »Sherlock«) als neuen Agentenkollegen „C“ einzuführen: dass der nicht mit offenen Karten spielt und Böses im Schilde führt, ist bereits in Szene eins klar. Wären jedoch er oder gar Signora Bellucci am Ende als Blofeld-Reinkarnation wiederauferstanden, so wäre dies eine wirkliche Überraschung gewesen.

Schade um das viele Geld, das für die Entstehung von »Spectre« verballert wurde. 1,50€ hätten gereicht, um die DVD von »Captain America: The Return of the First Avenger« auszuleihen. Der Film erzählt nämlich schon genau dieselbe Geschichte.

Csaba Lázár

http://www.spectre-film.de