2. Dezember 2015

Deutsche Bösewichte gehen immer gut!

Für den Oscar ist auch ein junger deutscher Schauspieler mit nominiert
Deutsche Bösewichte gehen immer gut!
Es könnte sich größeres Anbahnen - »Son of Saul« ist für die diesjährigen OSCARS nominiert und hat gute Aussichten. Mit dabei - ein deutscher Schauspieler, der über diesen kleinen ungarischen Film bald auch international bekannt werden könnte. Denn deutsche Bösewichte gingen und gehen immer gut. Ein Interview von Ray van Zeschau.

Urs Rechn, von 2003 – 2005 am Staatsschauspiel Dresden tätig. Im Kino war er in deutschen und internationalen Filmen zu sehen. 2015 spielte er die Rolle des Oberkapos Biedermann in László Nemes preisgekröntem Film »Son of Saul«. Im Mai wurde der Film in Cannes mit dem Grand Prix ausgezeichnet.

Wie kommt man als deutscher Schauspieler in einen ungarischen Film?
Nemes wollte einen deutschen Darsteller, der zugleich Theaterschauspieler ist, da er gewisse handwerkliche Fähigkeiten für sehr wichtig hielt. Meine Agentur fragte, ob ich das wirklich machen will, es wäre so etwas wie ein Studentenfilm, die zahlen zu wenig, das wäre nicht gut für mich. Aber ich bin zum Casting, ohne zu wissen, zu was ich eigentlich gebeten bin, und musste irgendeine Szene improvisieren, von der ich nicht wirklich wusste, um welche Rolle es geht.

Du hattest das Drehbuch schon?
Nee, das kam danach und mir wurde gesagt, dass es eine große Rolle sei, ein Jude im Zweiten Weltkrieg. Schon das war ein entscheidender Punkt. In Deutschland hätte ich das nie angeboten bekommen, ich meine, guck mich an, die würden mich immer als Nazi besetzen. Maximal als Offizier im Widerstand. Nun sollte ich die Rolle des Oberkapos bekommen. Fazit, das Drehbuch war großartig und ich hatte fast die Rolle.
Fast?
Ich sollte unbedingt abnehmen. Ich war zu der Zeit noch ne Schulter breiter und stand voll im Training zu einer Combat-Sambo-Meisterschaft, mir tat aber so oder so schon alles weh und dachte, das wird eh nüscht. Ich war halt breit und och´n bisschen fett, was nicht weiter schlimm war, nur ein jüdischer Häftling sah halt selten aus wie ein Ringer in seinen besten Zeiten. 10 bis 15 Kilo mussten also weg und Drehbeginn war zweieinhalb Monate später. Wie sollte ich das schaffen? Mein Arzt riet, zwei Wochen zu fasten, auf die Ernährung zu achten und etwas Sport zu treiben. Ich dachte nur, fasten is kacke. Dann sagte jemand, kohlenhydratfrei ernähren und ich ehh, reinhauen was ich will, Hauptsache keine Kohlenhydrate! Also Alkohol weg, Brot, Nudeln usw. So hab ich mich mehr oder weniger nur von Fleisch ernährt. Lecker Steaks, viele Hähnchen und dabei trainiert wie ein Berserker. Als mich László sah, war er zwar baff ob meiner Gewichtsabnahme, meinte aber, dass ich immer noch nicht so richtig wie ein Häftling aussähe. Aber trotz allem, es gibt Fotografien, die belegen, dass die, die im Sonderkommando gearbeitet haben, auf Grund ihrer Vergünstigungen körperlich etwas besser aufgestellt waren. Auch gab es einige jüdische Sportler als Gefangene.

In welcher Sprache wurde gedreht?
Wir haben in den unterschiedlichsten gedreht, die auch damals in Auschwitz gesprochen wurden. In meinem Fall deutsch und jiddisch.

Wie wurde der Film finanziert?
László hatte zunächst versucht, in Deutschland an eine Filmförderung zu kommen. Hier herrschte aber absolutes Desinteresse. Zumal es in dem Film nicht um Schuld geht, sondern um das Verhältnis der Menschen untereinander, in einer der schwersten Ausnahmesituationen, die man sich vorstellen kann. Da hätte wenigstens eine deutsche Produktionsfirma sagen müssen, ja, das müssen wir machen! Es gab sogar Leute, die meinten, dass es lächerlich sei und fragten, wer denn heut noch bitte einen Holocaustfilm sehen wolle? Am Ende wurde er von der ungarischen Filmförderung und von der Jewish Claims Conference finanziert.

Wie kam der Film nach Cannes?
Nach dem ich den fertigen Film gesehen hatte, glaubte ich fest daran, der Film käme zur Berlinale. Das ist ein Thema, das kann man in Deutschland nicht oft genug behandeln. Zumindest in dieser grandios aufgearbeiteten Form. Das ist kein Heldendrama a la Spielberg, kein Guido Knopp-Scheiß, sondern ein Film mit einfach globaler Gültigkeit, da wird auf einmal eine menschliche Schablone deutlich. Aber, die haben ihn abgelehnt und konnten nicht einmal sagen, warum! Dann aber fragte Cannes an und der Film war plötzlich im Wettbewerb und ich an der Côte d’Azur.

Hat es was für Dich in Deutschland gebracht?
Nüscht! Ich meine, das haben schon viele Leute aus der Branche mitbekommen, aber die ignorieren mich da komplett. Als wir den Grand Prix gewonnen hatten, gab es von einer einzigen Castingagentin, mit der ich auf Facebook befreundet bin, ein „gefällt mir“. Auch als ich im Deutschen Pavillon zur Veranstaltung von German Films war, meinte die Staatsministerin für Kultur und Medien, Frau Prof. Monika Grütters, dass es schade wäre, dass Deutschland wieder nicht vertreten sei, worauf ich von hinten aus dem Saal rief, DOCH!!! Deutschland ist vertreten! Ich bin da!!! ...Und alle guckten mich an, als wäre ich gerade aus dem Trog erwacht und würde weiter saufen. Dabei wussten es Einige und ich hatte unheimlich viele Interviews, doch nichts davon wurde gedruckt oder gesendet, wo ich mich frage, was soll denn das? Auch gab es Gespräche wie: „Ja, und was machst Du so? Ich bin Schauspieler. Und da kommst Du extra nach Cannes? Na, ich lauf hier im Wettbewerb? Wir haben doch aber keinen Film! Ich bin deutscher Schauspieler in einem ungarischen Film! - Ach sooo,´n ungarischer Film.“ Nach Cannes war ich mal bei nem Casting, wo mich die Tante fragte, wie es denn so aussehen würde. Nachdem ich erzählt hatte, dass ich gerade mit einem Film den Grand Prix gewonnen hatte, guckte sie mich mit großen Augen an und fragte, ob ich denn schon mal einen deutschen Filmpreis gewonnen hätte? Was sollst´n da noch antworten? So nach dem Motto, haste schon mal nen Bravo-Otto bekommen? Vorher rede ich nicht mit dir.

Nun wurde „Son of Saul“ von Ungarn zum Academy Award eingereicht, was denkst Du?
Ich meine, der Film lief auf den verschiedensten Festivals und gewann noch einige andere Preise, aber ich will darüber gar nicht nachdenken.
Aber man munkelt.
Wenn ich so was höre, dann freu ich mich bisschen, aber komm, hör off, letztes Engagement war in Chemnitz und dann bekomm ich´n OSCAR oder was?

Ich danke für das Gespräch und drück die Daumen!