6. September 2017

Von Meisterwerken und Stahlhelmen

Pro & Contra – »Dunkirk«, Christopher Nolan versucht sich an einem Kriegsfilm, ist Filmgeschichte zu erleben?
Von Meisterwerken und Stahlhelmen

Christopher Nolan versucht sich an einem Kriegsfilm. In der Redaktion des Kinokalender Dresden wird das unterschiedlich bewertet.

Pro:

Und wieder beginnt es mit Soldaten an einem Strand. Ähnlich wie einst in den ersten Filmminuten von »Der Soldat James Ryan« überkommt mich sogleich ein mulmiges Gefühl, als das anfangs entfernte, nun lauter werdende Motorengeräusch eines Kampfflugzeugs den Kinosaal mehr und mehr überkommt. Ein Gefühl, das mich die folgenden 100 Minuten auch nicht mehr verlassen wird.

Der britische Regisseur und Drehbuchautor Christopher Nolan hat sich nach Thrillern, Superhelden-Abenteuern und Science-Fiction-Epen mit »Dunkirk« nun erstmals dem Genre des Kriegsfilms zugewandt – und dann doch alles anders gemacht, als es die Genre-Regeln eigentlich vorschreiben. Keine blutigen Schlachtfeldgemetzel, keine heroischen Ansprachen selbstgefälliger Kommandanten, keine aus der Masse herausragenden Helden. Stattdessen die Momentaufnahme eines historischen Ereignisses, inszeniert, als sei der Zuschauer selbst jener Soldat, der in den ersten Minuten vorm Kugelhagel flüchtend an einem mit Kameraden überfüllten Strand ‚strandet‘. Zwischen dieser und zwei weiteren Erzählperspektiven wechselt der Film anschließend immer wieder hin und her, nur um sie im weiteren Verlauf irgendwann aufeinandertreffen und wieder auseinanderdriften zu lassen.

Es ist eine Art des Erzählens, die Nolan selbst zur Visitenkarte seines Schaffens gemacht hat. Angefangen von seinem charmanten Low Budget-Debüt »Following« über den rückwärts erzählten »Memento« bis hin zum Arthouse-Blockbuster »Inception« ist das Spiel mit verschiedenen Erzählebenen und Zeitachsen auch in »Dunkirk« das eigentlich Besondere. Nolan verzichtet bewusst auf eine Personifizierung des Krieges und gibt nichts über seine Protagonisten preis. Das kann ihm gern als Nachlässigkeit vorgeworfen werden, jenes mulmige Gefühl des „Mittendrinseins“ an der Seite der mir unbekannten Kameraden wird dadurch jedoch eher verstärkt. Und gibt Nolan ganz nebenbei Raum für eine der stärksten Szenen des Films: In Todesangst und vom Feind umzingelt, versuchen britische Soldaten einen aus ihrer Gruppe als ‚Ablenkungsmanöver‘ den Deutschen als Zielscheibe vorzuwerfen. Die sich daraus entwickelnde absurde Argumentation, die ihre Auswahl begründen soll, kann dabei gerne als bissiger Kommentar zu aktuellen Ereignissen und Diskussionen verstanden werden.

Apropos aktuell: Während sich Filmreihen wie »Transformers«, »Fast & Furious« sowie diverse Comic-Adaptionen einen testosterongesteuerten Wettlauf darum liefern, wer den größten … ähh Endkampf hat, erzielt »Dunkirk« maximale Wirkung durch maximale Reduktion. Ein einzelner Torpedo oder eine brennende Ölpfütze auf dem Meer genügen durchaus, um die Brutalität des Krieges zu verdeutlichen.

So weit, so vertraut: Krieg ist schlecht, der Mensch zu allem fähig, Nolan ein talentierter Filmemacher. Warum also ins Kino rennen? Es ist die Erfahrung, als Zuschauer ernst genommen und gefordert zu werden, die Nolans Werke so erfüllend machen. Formal auf der Höhe der Zeit, nutzt er die klassischen Mittel des Kinos – echte Kulissen, unzählige Statisten, unerwartete Szenenwechsel – und schafft es, aus Bekanntem Neues zu kreieren. So hatte zumindest ich neben besagtem mulmigen auch das erhabene Gefühl, hier ein Stück Nolansche Filmgeschichte zu erleben.

Csaba Lázár

Contra

Oliver Reinhard hat einmal in der „Sächsischen Zeitung“ zu einem Film mit Thema 2. Weltkrieg geschrieben, man solle im Kino vorsichtig sein und sich nicht in die Nähe von Historikern setzen, denn die würden dann darüber diskutieren, ob die Schulterstücke der Uniformen auch den richtigen Dienstgrad nachweisen. So penibel will ich ja gar nicht sein, aber was Christopher Nolan in »Dunkirk« anbietet, übersteigt das Maß verzeihbarer Mängel. 

Beginnen wir mal bei einem krassen Regiefehler. Der von Mr. Dawson (Mark Rylance) geführte Kutter fährt fast den ganzen Film allein vor sich hin. Wenige Seemeilen vor der Küste wird er voller Pathos von hunderten Schiffen links und rechts begleitet. Als er aber einige Minuten später von deutschen Flugzeugen angegriffen wird, sind nur noch zwei Schiffe in seiner Nähe zu sehen. Überhaupt reduzieren sich die Szenen in der Luft auf etwa drei Flugzeuge auf deutscher und drei Flugzeuge auf englischer Seite, wobei verwundert zu bemerken ist, dass die Engländer auch ohne Sprit noch sehr lange weiter fliegen können. 

Die deutsche Luftwaffe hat in drei Tagen über Dünkirchen mehr als 200 Flugzeuge eingebüßt. Da dürfte ergo noch etwas mehr in der Luft los gewesen sein. Wer so detailverliebt wie Nolan ist und eine echte Spitfire nachrüsten lässt, hätte auch diesem Aspekt mehr Bedeutung schenken sollen. Das hat Bond-Regisseur Guy Hamilton 1969 in »Luftschlacht um England« zumindest quantitativ schon  realistischer in Szene gesetzt. Was mich aber am meisten ärgert, oder anders gesagt fast zum Lachen bringt, ist eine persönliche Erfahrung. Wer jemals in einer Armee dienen musste oder so dumm war, es freiwillig zu tun, der weiß, wie bescheuert sich ein Stahlhelm auf dem Kopf anfühlt und dass jede nur mögliche Chance genutzt wurde, das Ding abzusetzen. 

Soldaten, die ständig ihren Stahlhelm auf dem Kopf tragen, kommen nur im Kino vor und am häufigsten bei Regisseuren, die diese „Huterfahrung“ nicht machen mussten und meinen, sie vermitteln das richtige Bild. Nolan musste die Erfahrung offensichtlich auch nicht machen und präsentiert uns tausende Jungs, die tagelang brav am Strand Schlange stehen mit Stahlhelm auf dem Kopf. Da fällt mir dann definitiv eine andere Szene zu Dünkirchen ein. Joe Wright hat in »Abitte« zu Dünkirchen eine 15-minütige Sequenz geliefert (zu sehen nach etwa einer Stunde). Schaut sie euch mal an, auch wenn ihr den Film und Keira Knightley vielleicht nicht mögt. Ich war ja damals aufgrund der Gnade später Geburt nicht dabei, aber ich bin der festen Überzeugung, so wie bei Wright hat es in Dünkirchen ausgesehen, nicht so wie bei Nolan. Fast eine halbe Million Soldaten in völlig desolatem Zustand. Bei Nolan stehen sie, wenn nicht gerade gestorben wird, frisch gebügelt am Strand und dazu liefert er ihnen Oberbefehlshaber, die nicht wissen, in welchen Zeiten Ebbe und Flut ablaufen, obwohl sie schon zwei Tage lang dort festsitzen. Das konnte ich dann nur noch als Witz interpretieren, aber einen witzigen Film wollte Nolan wohl nicht machen. Keinen Kriegsfilm, sondern einen Suspense-Film wollte er drehen.

Suspense bedeutet so viel wie „in Unsicherheit schweben“. Insofern ist jeder Kriegsfilm ein Suspense-Film, vielleicht mit Ausnahme derer von Stallone und Chuck Norris, bei denen immer klar ist, wer überlebt. Die „Suspense“ spreche ich Nolan auch nicht ab, aber ist es albern, nicht zu behaupten »Dunkirk« sei kein Kriegsfilm? Ich bin kein Historiker, sondern eher ein großer Verehrer von Christopher Nolan. Auch mich erfasst der Sog dieses Films. Spannende Montage, großartige Kamera und eine wahnsinnig suggestive Musik. Nolan wäre der Mann gewesen, der das Geld und die Fähigkeiten gehabt hätte, ein wahres Meisterwerk zu schaffen. Doch er hat nur den großen historischen Rahmen beachtet, sich aber in den historischen Details allzu viel Unglaubwürdiges zurechtgebastelt, um einen Film seiner Art zu drehen. Darum bin ich enttäuscht.

Frank Apel

http://www.dunkirkmovie.com