28. Februar 2018

Geradezu verschwenderisch!

Pro & Contra – »Shape of Water – Das Flüstern des Wassers«
Geradezu verschwenderisch!

Mit 13 Nominierungen ist »Shape of Water« der Favorit bei der diesjährigen Oscar-Verleihung. In der Redaktion des Kinokalender Dresden wird das doch sehr unterschiedlich aufgenommen.

Pro:

Es kann nicht verwundern, dass »Shape of Water« in geradezu verschwenderisch vielen Kategorien Oscar-nominiert ist. Denn vor allem ist er ein Film über das Kino, seine Magie und den Glauben an die unzerstörbare Kraft der Leinwandbilder. Nicht ohne Grund lebt die Hauptfigur in einer winzigen Wohnung über einem wunderschönen alten Kinosaal, der irgendwann aus phantastischen Gründen beinahe geflutet wird. 

Guillermo del Toro besitzt die Fähigkeit, seine Geschichten aus der Perspektive von Kindern und vermeintlichen Sonderlingen zu erzählen, mit ihren staunenden, verklärenden, enttäuschten aber immer hoffenden Augen auf die Welt zu schauen. Er variiert in »Shape of Water« auf sehr spezielle Weise das Märchenmotiv der Schönen und des Biestes. Entstanden ist ein Märchen im Setting der 1950er Jahre, ein Film über das Trotzdem, über die Kraft, dem Leben unter schnöden Umständen poetische Momente abzugewinnen. Der Film lebt von starken Kontrasten, gut und böse, stumm und redselig, real und irreal. Die stumme weiße & die redselige schwarze Putzfrau (grandios: Sally Hawkins und Octavia Spencer) sind ein starkes Team, ergänzt durch den Toupets liebenden Werbegrafiker (Richard Jenkins), der Kraft seiner Phantasie und seiner umfassenden Bildung willens ist, Wunder zu glauben und zu hüten. Der sensible Wissenschaftler, glänzend gespielt von Michael Stuhlbarg steht dem Bösewicht gegenüber, der menschlichen Bestie. Michael Shannon spielt diesen Sicherheitschef mit brutaler Eindeutigkeit, gefangen in der Pflichterfüllung, im nicht loslassen, nicht verlieren können, eine erbärmliche Existenz. In diesem System ist kein Platz für Facettenreichtum, das ist okay, weil eben märchenhaft. Von einer Hexe verlangt auch niemand skrupulöses Verhalten. 

Das Wesen aus dem Meer, die klassische kleine Meerjungfrau ist bei del Toro groß und männlich, die Augen golden und blau, ein wunderschönes Gummitier mit oszillierender Oberfläche und pochendem Herzen, das gekochte Eier mag. Wenn es sich in den eingangs erwähnten alten Kinosaal gerettet hat, überwältigt von einem Monumentalfilm, ist das ein ähnlich großer Moment wie die brennende Leinwand in Tarantinos »Inglorious Bastards«. Zwei Gottheiten treffen aufeinander. 

Als Gipfel des Kontrastes zeigt der Regisseur zwei Sexszenen. Die eine, konventionelles Extremklischee, maximal missionierend im piefigen Daheim des Bösewichts bildet die Folie für die große Szene der liebenden Sonderlinge im flüsternden Wasser unterm Dach. Wackelnde Fifties-Pobacken contra fragile romantische Freiheit. Del Toros vermeintlich simple Gegenüberstellungen bilden unter dem vordergründig märchenhaften Aspekt immer auch tieferliegende Schichten ab: Den kalten Krieg, lauernd in den Hinterzimmern einer scheinbar heilen Epoche, die Tünche der Zivilisation extrem dünn. Parallelen zur Gegenwart sind selbstverständlich rein zufällig. Ein Märchenfilm, der es in sich hat.

Grit Dora

 

Contra:

Mit Werken wie »Pans Labyrinth« hat sich Regisseur Guillermo del Toro einen Namen als fantasievoller Geschichtenerzähler erarbeitet, der von Publikum und Schauspielern gleichermaßen verehrt wird. Dass er allerdings auch für Quark wie »Mimic«, »Blade II« und Trash à la »Pacific Rim« verantwortlich zeichnet, wird dabei gern verschwiegen. Ursprünglich sollte er zudem die »Hobbit«-Trilogie inszenieren. Wer weiß, wie diese dann ausgesehen hätte?

„Was wäre wenn?“ ist eine Frage, die mich auch während des Screenings von »Shape of Water« beschäftigt. Denn wenn gleichwohl der Film del Toros eindeutige Handschrift trägt und die Oscar-Nominierungen u.a. für Kostüm- und Produktionsdesign verdient sind, würde es mich doch sehr grämen, wenn die Auszeichnung „Bester Film“ und vor allem „Bestes Drehbuch“ an diesen Märchen-Monster-Mix gingen – gerade bei solch grandiosen und thematisch sehr viel bedeutsameren Mitbewerbern wie »Three Billboards Outside Ebbing, Missouri« und »Get Out«. Denn ja, auch wenn cineastischer Eskapismus in Zeiten wie diesen angenehm sein kann, inhaltlich erscheinen mir die beiden Letztgenannten momentan wichtiger.

Nun macht del Toro keinen Hehl daraus, dass sein Film eine Verbeugung vor den Gruselfilmen der 1950er-Jahre sein soll. Setting, Filmzitate, ja sogar das Aussehen des Amphibienwesens, in das sich die stumme Elisa (Sally Hawkins) verliebt, finden ihre Vorbilder im amerikanischen Kino jener Zeit. Konsequenterweise übernimmt »Shape of Water« ebenso die simple Figurenzeichnung aus dieser Filmepoche, was im Kontext der Handlung jedoch überaus altbacken wirkt – und ziemlich langweilig. So gibt es für Elisa-Gegenspieler Strickland (Michael Shannon) keinerlei charakterliche Entwicklung, er bleibt bis zum Schluss so eindimensional böse, wie er anfangs eingeführt wird. Nicht weniger substanzlos ist die von Octavia Spencer verkörperte Zelda: Sie darf – Klischee óle – die witzige schwarze Kollegin geben, die immer einen kecken Spruch auf den Lippen hat. Ihr konstant selbstbewusstes Auftreten negiert das Drehbuch jedoch mit einer überflüssigen Szene am Ende, die Zelda devot gegenüber ihrem Gatten zeigt. Warum die sichtlich unterforderte Spencer und das Skript dafür Oscar-nominiert sind, lässt sich nur schwer nachvollziehen.

Wie so vieles andere auch: Weshalb darf eine ‚einfache‘ Putzkraft wie Elisa mehrfach unbewacht in den Raum mit der für das Militär wertvollen Kreatur? Weshalb kommt nach dem Verschwinden des Monsters niemand auf die Idee, die ohnehin verdächtige Elisa in ihrem Zuhause zu befragen? Welche Bedeutung hat die Sexszene der Eheleute Strickland für den Film?

Ach, an die erinnert sich keiner? Liegt sicherlich daran, dass die zweite romantischer bebildert ist. Problem: Wem – wie dem Autor dieser Zeilen – die Annäherung zwischen Mensch und Getier anfangs zu schnell ging, wird sich hier ebenso wie bei der eingestreuten Traumsequenz ein Kichern kaum verkneifen können. Das hat Kollege Peter Jackson in seiner »King Kong«-Neuauflage (der Tanz auf dem Eis) sehr viel besser und emotionaler hinbekommen. Ganz ohne Koitus sogar.

Csaba Lázár

http://www.fox.de/the-shape-of-water