31. März 2010

Alice im Wunderland

Wo Tim Burton draufsteht, ist oftmals Überraschung drin. Auch für die „Kinokalender“-Redaktion ? Darüber lässt sich streiten:
Alice im Wunderland
Pro:
Braucht die Kinowelt eine weitere Leinwandadaption von Lewis Carrolls Kinderbuch Alice im Wunderland ? Wenn sie so farbenfroh, bombastisch und – wie fast immer bei Burton – etwas unbrav daherkommt, dann sicherlich! Etwas anderes blieb dem für seine exzentrischen Umsetzungen bekannten Regisseur nach über 20 bereits existierenden Verfilmungen auch kaum übrig.
Doch verkommt das Effektgewitter bei Burton nie zum Selbstzweck, ist jede Spielerei wohl durchdacht und ein wahrer Augenschmaus. So hebt sich die 2010er-Version tatsächlich von vielen Vorgängern ab, nicht nur, da Johnny Depp und Helena Bonham Carter ihren Figuren durch ihren eigenen Mini-Wahnsinn viele neue Facetten abgewinnen. Zauberhaft ! Csaba Lázár

Kontra:
Entweder bin ich zu alt dafür, oder Tim Burton ist es. Zugegeben, wenn man aufgewachsen ist unter Hochhaus-Gespenstern und fliegenden Windmühlen, mag man nicht ausreichend konditioniert worden sein für den Lewis-Carroll-Klassiker, wo ein Mädchen ins Kaninchenloch fällt, schrumpft, wächst, dadaistische Teepartys besucht und zuschauen muss, wie böse Spielkartenbuben der roten Dame beim Köpfeabschneiden assistieren.
Doch Herr Burton saß bis dato auf seinem unangefochtenen Ehrenplatz unter den garstigen Nonkonformisten. Gleich neben dem Thron, auf welchem Johnny Depp haust. Einen solch erlauchten Albtraum neu zu verfilmen, riefe geradezu nach Burtons finsterer Fingerfertigkeit und Johnnys zappeliger Präsenz. Zählt man noch Bandersnatch und Schweinekönigin hinzu, Jabberwocky und Grinsekatze, ließe sich daraus ein gar grauseliger Plot entwickeln. Zumal in den Scherenhänden eines Tim Burton. Hah! Schnipp, schnapp, runter mit der Rübe! Und schließlich; Alicens schöner Lockenkopf zählt zarte 19 Lenze, Nightmare before Wedding würde also auf sie warten. Und auf uns ein kindlicher Albtraum, der erwachsen wird, welch schöne Idee !

Allein, sie verpufft mit jedem neuen CGI-Tableau. Kaum ist die blassblaue Mia Wasikowska durchs Loch gerauscht, reiht sich eine blutleere Rechenleistung an die nächste. Gigabytiges Gähnen! Okay, die schläfrige Haselmaus sticht mal ein Auge aus, oho! – ein Tim Burton Film, und Mia balanciert auf Trittsteinen aus abgeschlagenen Köpfen ins verruchte Kartenhaus, doch dann schnell weiter mit der Disney-Studio-Tour. Jugendfrei wird allen Haltestellen des alten Traumes ein kurzer Besuch abgestattet. Ziel: Die finale Schlachteplatte zu erreichen, in strahlender Rüstung, um das schwesterliche Gezänk mit einem saftigen Schwertstreich durch den Schwanenhals des Sabberdrachens zu beenden. Warum bloß ? Weil Tim Burton in der echten Welt keine furchteinflößenden Analogien mehr findet oder keine beängstigenden Räume mehr aufschließt? Weil computergenerierte Perfektion, nachträglich aufgeblasen in 3D, nur lange genug aufgeführt werden muss, bis wir endlich vergessen haben werden, wie sich ein echter Albtraum anfühlt ? Bitte nicht !
Ach, lieber Herr Burton, hättest du dir vorher nicht Jan Svankmajers Alice (1988) auf der Video-Tube ansehen
können, da sind fünf Minuten Albtraum beklemmender als dein ganzes Wunderland…
al pakino