25. November 2022

Engel der Nischen

Glamour und Subversion in Aelrun Goettes »In einem Land, das es nicht mehr gibt«, Filmkritik
Engel der Nischen

Also noch ein Film über die DDR, über Stasi, FKK, Anpassung, Widerstand, Ungarn 1989. Gedreht hat eine, die dabei war: Regisseurin Aelrun Goette verfilmte ihre eigene Geschichte. Zeitzeugenschaft ist gut, tappt aber gelegentlich in die Nostalgiefalle, wie es leider auch dem großen Andreas Dresen (»Als wir träumten«, 2015) passiert ist. Überraschenderweise gelingt Aelrun Goette die Gratwanderung. Sie beschreibt den Weg der Abiturientin Suzie (Marlene Burow), die von der Schule fliegt, weil sie den Schwerter-zu-Flugscharen-Aufnäher an der Jacke und Orwells „Farm der Tiere“ in der Tasche hat. Und sich im Kabelwerk Oberspree wieder findet, in einer Ausbildung zur Zerspanungsfacharbeiterin. (Ein gut bezahlter Job damals und mein Dad hätte mich auch gern an der Bohrmaschine des VEB Planeta Radebeul gesehen.) Aber wie Gisela (die wunderbare Jördis Triebel) als Chefin der Frauenbrigade im Werk nach etlichen mütterlichen Bemühungen dann doch resümiert: „Du gehörst hier nicht hin, Mädchen.“ Denn Suzie will Literatur studieren und leidet unsäglich unter den stumpfen eintönigen Arbeitsabläufen im Werk. Als sie auf dem Weg zur Schicht fotografiert wird, ihr Bild in der Frauenzeitschrift „Sibylle“ erscheint (ein Magazin, das viel mehr war als nur eine Modezeitschrift), wird Suzie „entdeckt“, sie hat die Chance, „Mannequin“ zu werden. Zahltag ist nach der ersten großen Show, die Kollegen der Stasi bitten ins Hinterzimmer. Es sind die letzten Monate der DDR, die Auflösungstendenzen fast mit Händen zu greifen, aber noch kann sich niemand den Fall der Mauer vorstellen. Die Regie reißt die Vorgänge nur oberflächlich an, ihr geht es um die Bilder. Sie beschreibt in ihren Kameraeinstellungen atmosphärisch unheimlich dicht, wie nah Bedrohung und Freiheit in dieser kurzen Zeitspanne beieinander lagen. Sie zelebriert den ästhetischen Aufstand, die subversive Kostümierung des (Ostberliner) Undergrounds, wild, theatralisch, politisch und – farbenfroh. 

Aelrun Goette zeigt am Beispiel von Mode die Kraft der damaligen Nischen, die hart erkämpften Freiräume. Einige Einstellungen erinnern an die Arbeiten der Künstlerinnengruppe Allerleirauh, ikonisch verewigt in Sibylle Bergemanns gleichnamiger Fotografie. Damit verweist der Film auch auf das Werk der großen Fotografinnen und Fotografen der DDR. Er zitiert deren Bilder, jene Fotografien die „das Land, das es nicht mehr gibt“, in allen Facetten dokumentieren, seine Schäbigkeit, seinen verzweifelten Pomp, seine Kreativen, seine – im besten Sinne asoziale – Jugend. Ute Mahler, Arno Fischer, Roger Melis stehen neben Bergemann als einige der bekanntesten Namen stellvertretend für die spezifische künstlerische Qualität der DDR-Fotografie. Goettes Film ist eine Umarmung dieser prägenden künstlerischen Handschriften. Sie verleiht dem Film seine Andersartigkeit und Kraft. Kein Wunder, dass man sich das Filmplakat gern an die Wand nageln möchte.

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