26. Mai 2010

Chloe - ein Erotikthriller von Atom Egoyan

Mit drei äußerst ansehnlichen Hauptdarstellern - Julianne Moore, Liam Neeson und Amanda Seyfried - kann der Film durchaus begeistern – und verärgern.
Chloe - ein Erotikthriller von Atom Egoyan
Pro
Der Film »Chloe« ist außergewöhnlich und auf jeden Fall sehenswert. Einer der Filme, die man auch ein zweites Mal anschauen kann. Oder ein drittes Mal. Ein Film über eine Beziehung, von der man glaubt, sie im Griff zu haben, aber dann bricht alles auseinander. Was den Film so ungewöhnlich macht, ist die Kombination aus einem jeweils großen Potential an Erotik, Drama mit Thriller-Momenten, die an »Eine verhängnisvolle Affäre« erinnern und einem ausgeklügelten Katz-und-Maus-Spiel. Hinzu kommen drei erstklassige Hauptdarsteller, die das Ganze gekonnt dekorieren. Das Konzept geht auf. Darüber hinaus ist er auch eine wunderbare Verhaltensstudie.

Chloe, ein Luxus-Callgirl von bezaubernder Frische und Schönheit (Amanda Seyfried - »Mamma Mia!«) erscheint in wunderschönen Dessous und stellt sich im OFF selbst vor. Sie kann alles sein, was ihre Kunden möchten und sie kann Wünsche erfüllen. Chloe hat Stil und ist diskret. Bezahlt wird nach Tarif. Sie war immer allein, hat nie Liebe oder eine glückliche Beziehung gehabt. Als sie sich in Catherine verliebt, zeigt sie sich mehr und mehr verletzlich.

Catherine (in jeder Szene sehr schön: Julianne Moore – »Magnolia«) und ihr Mann, beide beruflich sehr erfolgreich, führen eine, sagen wir mal, eingespielte leidenschaftslose Ehe. Oder wie manche Leute von sich sagen: Wir sind ein „gutes Team“. Da wird einem doch schlecht. Catherine geht lieblos mit David (Liam Neeson – »Schindlers Liste«) um und für ihn scheint das alles normal zu sein. Ärgerlich, dass er zu seiner eigenen Geburtstagsparty als Einziger fehlt. Flieger verpasst, sagt er. Ein kurzer Blick auf sein Handy und schon ist der Beweis für die Affäre da. (Binsenweisheit: sollte man niemals, man macht sich nur unglücklich!)
Das Spiel beginnt. Und Julianne Moore und Amanda Seyfried spielen in dieser Ménage á trois exzellent und sehr authentisch.

Dadurch, dass das gefährliche Spiel allerdings erst kurz vor Ende aufgelöst wird, kommen zuweilen Catherines Reaktionen schon befremdlich daher und die Frage macht sich breit: Würde eine moderne, erfolgreiche Frau, die sie im Film ja auch darstellt, so reagieren? Niemals – was wiederum zur Folge hat, die Handlung temporär und damit den Film an sich in Frage zu stellen. Konzeptionell etwas bedenklich. Der kanadisch-armenische Regisseur Atom Egoyan spielt aber gern mit den Erwartungen seines Publikums, und mit Chloe führt er es auch gezielt in die Irre.
»Chloe« ist vielleicht auch gerade deshalb ein wunderbarer Film – übrigens auch für Ästheten. In diesem Film ist einfach alles schön. Die Darsteller selbst einschließlich Sohn und eigentlich alle Schauplätze: die Restaurants, Hotels, das Haus, die Praxis, die Stadt Toronto bis hin zum Soundtrack.
BSC

Contra:
Es ist durchaus erstaunlich, wie es anerkannten Filmemachern wie beispielsweise Atom Egoyan immer wieder gelingt, ihre jahrelang mühsam aufgebaute Reputation abseits gängiger Genrekonventionen mit einem Male zunichte zu machen. Im Falle von »Chloe« genügen dafür lediglich 96 Minuten. Der Regisseur selbst nennt es seine „erste Hollywoodproduktion“, nachdem er zuvor mit »Wahre Lügen« (2005) schon eindeutige Signale Richtung Traumfabrik setzte. Seine ihm eigene verschachtelte Erzählweise um Wahrheit, erotische Phantasien und Egoismus trieb er darin noch einmal auf die (unterhaltsame) Spitze. In »Chloe« glückt ihm das nur bedingt.

Zwar sind seine Darsteller weit davon entfernt unerotisch zu sein. Doch warum nur muss jede sinnlich erzählte Begegnung sogleich auch bebildert werden? Genügt es nicht, den Worten zu lauschen und die eigene Imagination zu fördern? Betört eine Andeutung nicht mehr als die nackte Brust? Zweifellos ist das hier Gezeigte besonders für den männlichen Teil im Kinosessel durchaus anregend. Doch bleibt ein ganz bestimmter Kerl dank dieser Freizügigkeit auf der Strecke: So zumindest berichtete es Seyfried in einem Interview, die ihrem Vater verboten hat, sich diesen Film aus genau diesem Grund anzusehen. Pech gehabt.

Ebenso wenig wie auf die Vorstellungskraft scheint Egoyan aber auch in die Aufmerksamkeit seines Publikums zu vertrauen. Frühzeitig deutet er an, wie seine Dreierbeziehung enden wird und steuert überraschungslos und sehr geradlinig darauf zu.

»Chloe« widerspricht dem klassischen Ansinnen des Kinos somit gleich auf mehreren Wegen. Der Film beraubt es seiner Phantasie, Spannung, Unverwechsel- und Unberechenbarkeit. Gleich vier Argumente, für die es sich einst lohnte, ein Atom-Egoyan-Werk zu schauen. Gleich vier Argumente, es diesmal nicht zu tun.
Csaba Lázár