3. Februar 2012

Pro und Contra »Und dann der Regen - Tambien la lluvia«

Wir können auch anders! Sogar in der Redaktion des Kinokalender Dresden herrschte zu Beginn des neuen Jahres noch Harmonie.
Pro und Contra »Und dann der Regen - Tambien la lluvia«
Kein Streitgespräch, kein gegenseitiges Anfauchen, keine knallenden Türen. Statt dessen lächelnde Redakteure, die sich über einen Film ganz besonders gefreut haben. Doch dann kam noch ein Dritter.

Pro 1: Und dann der Regen

Ja, es ist eine Schande: Obwohl er schon seit den 1960er Jahren als Regisseur aktiv ist, bin ich erst mit »My Name is Joe« (1998) auf Ken Loach aufmerksam geworden. Seither zählen seine Filme (z.B. »Just a Kiss«, »It’s a free world«, »Looking for Eric«) jedoch zu den jährlichen Höhepunkten meines Kinojahres, auch, weil sie dank ihrer Alltagsnähe wie ein britisches Pendant zu Andreas Dresens Arbeiten wirken. Nun hat sich die Spanierin Icíar Bollaín Loachs Stammautor Paul Laverty ausgeliehen – und mich einmal mehr sprachlos zurückgelassen.

Der Film erzählt von den Dreharbeiten des idealistischen Jungregisseurs Sebastián (Gael García Bernal) in Bolivien, wo er einen „ehrlichen Film über die Entdecker Amerikas“ drehen will, der nichts beschönigt und auch die rücksichtslose, brutale Versklavung der Ureinwohner thematisiert. Realismus steht im Vordergrund, auch wenn Sebastián das knappe Budget und sein Produzent Costa (Luis Tosar) dazu zwingen, die originalen historischen Schauplätze durch andere zu ersetzen. Mit dem charismatischen Laiendarsteller Daniel (Juan Carlos Aduviri) scheinen sie die perfekte Besetzung gefunden zu haben, wie die ersten auf Zelluloid gebannten Szenen eindrucksvoll beweisen. Erste Probleme treten auf, als Daniel seine stolze und kämpferische Natur auch abseits der Kamera auslebt und zum Anführer einer äußerst realen Protestbewegung der einheimischen Bevölkerung wird, die sich gegen die Preiswillkür eines Wasserunternehmens richtet. Die Folge: Daniel wird verhaftet, der Dreh gestoppt und den Filmemachern schmerzlich bewusst, dass die Ausbeutung der Bevölkerung auch 500 Jahre nach Kolumbus noch omnipräsent ist.

Nein, den belehrenden Zeigefinger streckt »Und dann der Regen« seinem Publikum nicht entgegen. Vielmehr wirkt der Film in Teilen wie eine Fortsetzung von »Verloren in La Mancha« (2002), jener urkomischen weil tragischen Dokumentation über Terry Gilliam und seinem missglückten Versuch, »Don Quixote« zu verfilmen. Unaufdringlich und quasi durch die Hintertür flicht Autor Laverty dabei das reale Schicksal der Statisten ein und schafft es so, das politische Dilemma einer ganzen Region den finanziellen Bedenken der Filmcrew gegenüberzustellen. Ein Kniff, der jedem einzelnen Charakter Tiefe und Glaubhaftigkeit verleiht und eine plumpe Schwarz-Weiß-Malerei verhindert. Auch geht es Laverty nicht darum, die verwöhnten Künstler und ihre (glaubhafte, aber selten ehrlich gemeinte) Empathie als egoistisch vorzuführen oder sie bis Filmende zu besseren Menschen zu machen. Er setzt deren Bedürfnisse lediglich ins Verhältnis zu denen der Menschen vor Ort – und macht so deutlich, was im Leben wirklich von Belang ist.

Zählen wir also zusammen: Amüsement, Anspruch, Gael García Bernal, Luis Tosar, Südamerikas Schönheit, eingefangen in beeindruckenden Bildern und untermalt von einer bereits mehrfach ausgezeichneten Filmmusik, sowie ein Cannes-Preisträger als Drehbuchlieferant – es gibt reichlich Gründe, sich »Und dann der Regen» anzuschauen. Der wichtigste aber ist: Besser kann man das Kinojahr 2012 nicht beginnen.
Csaba Lázár

Contra
Viel Kritikerlob und soziales Engagement - das ist ehrenwert. Aber ergreift das den Zuschauer wirklich? Gelingt es dem Film hinter der exotischen Kulisse das Herz des Zuschauers anzusprechen? Leider nicht.

Der Film wirkt eher wie ein korrekter Entwurf am Reißbrett - ausgewogen, pc und durchaus zeitgemäß (da spürt man den Filmprofi Paul Laverty mit einem starken Drehbuch). Die Umsetzung aber verharrt im seltsam Schwammigen, Unnahbaren. Die handelnden Personen wirken blas und unglaubwürdig. Warum z. B. begibt sich ausgerechnet Costa am Ende in eine wenig realistisch dargestellte Rettungsaktion, lässt plötzlich alles stehen und liegen. Zu sehr verkörpern die Darsteller Schablonen, definierte Typen, die einfach zu grob skizziert werden. Gut, die Europäer werden kritisch, eben als typische Nachfahren der Eroberer vorgeführt. Die Indios dagegen verbleiben in der Kategorie "sympathische Ureinwohner mit Raue-Schale-aber-guter Kern". Eine Identifizierung wird fast unmöglich und damit bleibt der Zuschauers in Distanz zum Geschehen.

Lediglich Antón (Karre Elejade), dem die undankbare Aufgabe zufällt, Kolumbus zu spielen, erhält dank der großartigen Schauspielerischen Leistung so etwas wie eine Kontur. Eine zynische Gestalt zwischen Drinks und unschönen Wahrheiten, das Leben hat ihn desillusioniert. Die anderen Hauptrollen bleiben seltsam farblos und eindimensional.

Der Film bleibt unentschlossen, unrealistisch und ergreift emotional kaum, das kann auch an der Synchronisation liegen. Zwei Szenen bieten einen großartigen Beginn - das einschwebende Kreuz per Hubschrauber und die Selektion zum Casting. Danach bekommt Icíar Bollaín den Film nicht stringent genug erzählt, wohl auch, weil zu vieles zu erzählen ist.

Auch der historische Kontext bleibt flach. Das Leben der Indios war auch vor Kolumbus nicht das paradiesische, wie eine der Eingangssequenzen vermuten lässt. Eigene Despoten, der tagtägliche Überlebenskampf und der Gruppenzwang machten das Leben nicht gerade zu einem komfortablen (sehr zu empfehlen in diesem Zusammenhang Claude Lévi-Strauss eindrucksvolle Beschreibung "Traurige Tropen"). Wirklichkeit ist zumeist komplexer. Wie so vieles ist eben auch kulturelle Differenz nicht in Schwarz-Weiß zu messen.
Letztlich, das will der Film wohl auch vermitteln, bleibt natürlich immer die Frage nach der persönlichen Positionierung. Die eigene Tat wird zum Gradmesser, Gedanken und Worte sind geschenkt. Diese Erkenntnis kommt aber eher durch weniger didaktische Filme. Mersaw

Pro 2
La Bollaín, die spanische Regisseurin hat irgendwann in einem Interview gesagt, dass sie nicht auf Sozialfilme festgelegt werden will. Und sich an einem freien Freitagabend im Zweifelsfall einfach für einen guten Film entscheiden würde. »También la lluvia« ist sehr gutes Kino. Eine spannend erzählte, wundervoll fotografierte Geschichte. Es wirkt schon vieles anders, wenn Frauen Filme machen. Zum Beispiel, weil sie Männer ganz anders aussehen lassen, als ihre männlichen Regiekollegen das tun. Jane Campion bewies das vor bald zwanzig Jahren eindrucksvoll an Harvey Keitel in »Das Piano«. Vor Campion sah Harvey Keitel immer echt hässlich aus. Bollaín kann genauso hervorragend wie die Neuseeländerin schöne Männer in einem schönen Land inszenieren. Sie hat eine handverlesene Darsteller-Riege versammelt und in jeder Hinsicht auf Kontraste gesetzt: Luis Tosar ist das smarte Produzenten-Arschloch, Juan Carlos Aduviri der unbeugsame Inka-Nachfahre und Gael García Bernal das empfindsame, aber wenn es um die Kunst geht, gnadenlose Regietalent. Wie die Regisseurin Bernals Lidschlag in Szene setzt, wenn er seinen Filmplot im Kopf ablaufen lässt, tja. Das muss man einfach gesehen haben.

In »Auch der Regen«, wie der Film eigentlich übersetzt gehört, geht es darum, wie ein spanisches Filmteam in Bolivien in einen Aufstand der Bevölkerung gerät. Es geht ums Filme drehen und ums Wasser abstellen. Vor allem aber geht es um Erwartungen und Befürchtungen und wie sie übertroffen, enttäuscht und gekippt werden. Darum, dass man nicht wissen kann, wen man mögen wird und auf wen man sich verlassen kann, wenn es wirklich eng wird. Ja, das Leben ist unübersichtlich, dieses ganze Geflecht aus Abhängigkeiten, Beziehungen und Befindlichkeiten. Icíar Bollaín weiß und zeigt das, lässt ihren Film aber mit einer Botschaft enden, die auch Kinder verstehen: Gegen Unrecht muss man was tun. Am besten gleich. Bis die Welt wieder in Ordnung ist. Wenigstens ein bisschen. »También la lluvia« geht nahe, ohne zu nahe zu treten, höchstens auf die Füße, nach dem Motto: Wach auf, komm aus der Kiste, lass den Tarifdschungel und die Brotsortenauswahl mal einen Moment beiseite. Das Leben ist nicht nur kompliziert. Es gibt Recht und Unrecht und es gibt jede Menge Grauzone. Du entscheidest, wo du stehst - die Welt dreht sich so oder so weiter. Und sie kann sehr schön aussehen dabei.
Grit Dora

http://www.und-dann-der-regen.de