7. Juni 2013

Willkommen Tristess

Kann Brad Pitt das noch?
Willkommen Tristess
Brad Pitt und Regisseur Andrew Dominik präsentieren mit »Killing them softly« ihr zweites gemeinsames Werk. Die Redakteure des Kinokalender Dresden sind darüber sehr erfreut, denn es gibt einiges zu besprechen.

Pro:

Brad Pitt macht derzeit Werbung für eine Parfümmarke. An sich nichts Verwerfliches, erstaunlich ist es trotzdem: Immerhin hat Mr. Pitt in den vergangenen Jahren viel dafür getan, um dem (ohnehin dämlichen) Vorurteil des naiven Schönlings ohne schauspielerisches Können zu entfliehen; heiratete den fleischgewordenen Traum vieler Männer, wurde zum sechsfachen Familienvater, veränderte zum Bedauern vieler weiblicher Fans sein Äußeres und drehte kaum noch Gute-Laune-Streifen à la »Oceans 11«. Fast schien es, als wollte er absichtlich nicht mehr attraktiv wirken, ließ sich Zottelbart und Mähne angedeihen, während seine von der Kritik hochgelobten Filme zunehmend verkopfter oder zumindest massenuntauglicher wurden. Das Gute dabei: Auch ein Arthaus-Pitt lockt immer noch genug Menschen ins Kino, um kleine Independent-Perlen wie »Killing them softly« zu ermöglichen. Ein Glücksfall, denn die Arbeit des Andrew Dominik, mit dem Pitt vor fünf Jahren bereits »Die Ermordung des Jesse James durch den Feigling Robert Ford« produzierte, scheint stets zumindest formal aus einer anderen Kinoepoche zu stammen – ein wohltuender meditativer Gegenentwurf zum sonstigen Genre-Gedöns, der gewöhnlich unter dem Label „Thriller im Killermilieu“ auf den gebeutelten Cineasten einprasselt.

»Killing them softly« wirft einen kühlen Blick auf den Alltag des Auftragskillers Jackie (Pitt), der zwei Deppen aus dem Weg räumen soll, die eine illegale Pokerrunde ausgenommen haben, die wiederum von einem Verbrechersyndikat organisiert wurde. Um das Risiko und den Aufwand zu minimieren, soll Jackie ein Kollege (James Gandolfini) assistieren – immerhin gilt es auch, ungewollt Beteiligte (u.a. Ray Liotta) mundtot zu machen. Bis es allerdings dazu kommt, müssen einige Hindernisse überwunden werden.

Dominik inszeniert seine Killerballade als Allegorie auf eine amerikanische Gesellschaft, die von Gewalt, Misstrauen und erschreckend viel Dummheit geprägt ist. Was nach einer Thriller-Groteske klingen mag, entpuppt sich als beinahe reiner Dialogfilm, in dem die meisten Figuren wahlweise machohaftes Geblubber über Sexabenteuer, Machtspielchen oder gescheiterte Ehen von sich geben und dabei im Selbstmitleid zerfließen. Mittendrin Jackie, der als Einziger nicht alten Zeiten hinterher weint, stets sein eigentliches Ziel vor Augen behält und die Gegenwart (= USA anno 2008) schlicht als das akzeptiert, was sie ist: ein verlogener Müllhaufen, in dem jeder sich selbst der Nächste ist. Das gilt fürs Killerbusiness wie für den Rest der Gesellschaft, an deren Spitze ebenso Ewiggestrige stehen, die einem Amerika nachweinen, das schon längst nicht mehr existiert.

»Killing them softly« mag für einen Teil seines Publikums langweilig, dialoglastig und spannungsarm wirken – und ist doch eines der kritischsten Werke, die Hollywood dieses Jahr hervorgebracht hat. Ein bitteres Zeugnis einer Macht auf dem Abstellgleis, die an Selbstverliebtheit, unfähigen Entscheidungsträgern und klammen Kassen leidet. Da ist es schon bezeichnend, dass Autor/Regisseur Dominik für seinen Abgesang auf Amerika ausgerechnet das Killermilieu wählte. Viel Vertrauen scheint er offenbar nicht in seine Politikernasen zu haben. Armer Kerl!

Letzteres trifft am Ende des hervorragenden Films übrigens im wahrsten Sinne des Wortes auch auf Pitts Jackie zu, als er sein verdientes Honorar abholen will und nicht das bekommt, was ihm versprochen wurde. Kein Wunder also, dass auch Pitt sich im realen Leben vorsichtshalber nun wieder als schöngeschminktes Model für einen französischen Parfümhersteller etwas dazuverdient. Denn in Amerika gibt es für fleißiges Fachpersonal offensichtlich nicht mehr viel zu holen.
Csaba Lázár

Contra

Etwas hatte mich gewarnt. Kann Brad Pitt mit seinem jetzigen Status als Supermacker und mehrfacher Vater eine solche Rolle korrekt geben? Er kann, gemeinsam mit Andrew Dominik, den Weinstein Brüdern und zahlreichen anderen Partnern wird ein stylischer Gangsterfilm konzipiert, schön schwarz und politisch unkorrekt. Das Ergebnis, das mal gleich vorweg, ist leider nicht so richtig befriedigend und sieht ein wenig danach aus - einer Reißbrettkonstruktion.

Trotz der hohen Standards, der großartigen Akteuere - vor allem Ben Mendelsohn gibt einen wunderbar vielschichtigen, richtig schmutzigen aber doch coolen Kleinganoven Russell -, einer tollen Kamera und super Optik fehlt dem Film schlicht Authentizität. Dazu verhaspelt sich die Geschichte, schwankt zwischen Charakterstudie, harter Gangsterballade und politischer Anklage.

Auch fragt man sich, ob Brad Pitt der richtige für diese Rolle ist. War er früher noch cool, z. B. als Kleinganove in »Thelma & Louise« oder als Serienkiller mit einer hysterischen Juliette Lewis an seiner Seite in »Kalifornia«, wirkt er als abgeklärter Killer etwas überfordert und eine Spur zu schick.

Sind die anfänglichen Politikerreden im TV noch ganz witzig, nerven sie mit der Zeit als aufgesetzte Parodie, selbst Obama wird zum Widerling. Aber alle freuen sich auf die kritische Sicht der USA, alles so schön kaputt dort. Klar ist die USA im Eimer, war sie das aber nicht immer schon? War sie nicht immer schon im Griff krimineller Gangs und korrupter Politiker? Allerdings, das muss diesem Land sehr hoch angerechnet werden, verfügt die Gesellschaft aber auch über die Kraft der Selbstreinigung dank ihrer zweihundertjährigen Verfassung und der Öffentlichkeit. Das aber sind theoretische Erörterungen, den Mob hat so etwas noch nie interessiert. Politiker sind A-löcher, den Rest regeln hartes Zupacken und kompromissloses Tun.
Davon allerdings ist im Film nicht viel zu sehen. Stattdessen macht Jackie Cogan (Brad Pitt) einen auf sozial und vergisst dabei den Deal (seine Jobs erledigt er irgendwie auch recht unprofessionell). Aber Gott sei Dank gibt es noch genügend hart arbeitende US-Amerikaner, nicht nur in der Filmindustrie…

http://www.killing-them-softly.de