Kinomittelstand fürchtet um seine Existenz
Mit diesem ungewöhnlichen Schritt machen sie auf die aktuell schwierige Lage der Kinos aufmerksam.
In Zusammenarbeit mit einer Presseagentur hat sich ein Großteil des deutschen Kinomittelstandes zusammen getan und möchte auf sich aufmerksam machen.
Wir veröffentlichen gern den Brief.
Deutscher Kinomittelstand
(privatwirtschaftlich geführter Kinounternehmen)
Frau Staatsministerin
Prof. Monika Grütters
Bundeskanzleramt
Willy-Brandt-Str. 1
10557 Berlin
05. August 2020
Bitte zur Initiierung eines Branchentreffens „Kinogipfel“
Sehr geehrte Frau Staatsministerin Grütters,
wir, die Unterzeichner dieses offenen Briefes, sind ein wesentlicher Teil der deutschen mittelständischen, familiengeführten Filmtheaterunternehmen, die in großer Sorge über ihre wirtschaftliche Zukunft sind. Unsere Unternehmen, die zum Teil in mehreren Generationen aufgebaut wurden und mit insgesamt mehr als 50 % aller Leinwände Kinokultur und Unterhaltung anbieten, sehen ihr Lebenswerk bedroht, wenn nicht kurzfristig weitere Hilfen ganz konkret auch unseren Unternehmertypus unterstützen.
Wir wissen in Ihnen eine große Kämpferin für den deutschen Film und auch das deutsche Kino und möchten Ihnen zunächst für Ihre bereits vorgenommenen Hilfestellungen danken. Wir wissen, dass gerade auch im kulturellen Bereich die Not und damit die Anzahl der Hilfesuchenden besonders groß ist.
In den letzten fünf Jahren haben wir, die Unterzeichner sowie eine Vielzahl unserer Kolleginnen und Kollegen, mehrere 100 Millionen € in den deutschen Kinopark investiert. Es wurden Standorte in der Provinz mit hochwertigen Kinoangeboten versehen, neue Servicekonzepte entwickelt und die Anzahl und Vielfalt der Filmangebote deutlich erhöht. Wie in der Gesamtwirtschaft stellt der Mittelstand auch in der Kinolandschaft das Rückgrat und den Motor dieses Kulturzweiges dar. Die deutschen Filmproduktionen, die Ihr Ministerium mit rund 100 Millionen € im Jahr fördert, kommen in unseren Leinwänden zur Aufführung und tragen zum Erfolg und zur Vitalität der deutschen Filmlandschaft bei.
Diese Infrastruktur und die über 100 Jahre alte und einzigartige Art des Filmgenusses ist zurzeit dramatisch bedroht. Auch ohne eine weitere pandemiebedingte Schließungswelle wird ein nennenswerter Teil der deutschen Filmtheater diese Krise ohne weitere Hilfen nicht überleben. Denn durch die Schließung der Kinos seit Mitte März und der nur zögerlichen Öffnung seit Mitte Mai verzeichnen alle Kinobetreiber massive Umsatzeinbrüche und geraten in eine dramatische Liquiditätssituation. Kinos, die erneut schließen müssen, werden nur im Einzelfall wieder geöffnet werden. Die Folgen für das kulturelle Leben, die Belebung der Innenstädte für Gastronomie und Handel, sind auf lange Zeit irreversibel. Welche Folgen dies auf die Finanzierung der FFA und die Kinospielfilmproduktion hat, ist in ihrer Gänze noch gar nicht abzusehen.
Wenn wir es also nicht schaffen, die aktuelle Entwicklung aufzuhalten, gehen in Deutschland viele Arbeitsplätze verloren, die bei den Gewinnern dieser Entwicklung, den Streamingdiensten, sicher nicht parallel entstehen werden. Ganz zu schweigen, dass die meisten Streamingdienste, wie Netflix, Amazon und Co, ihre Steuern nicht in Deutschland entrichten.
Obwohl wir wissen, dass Ihnen all diese Gründe hinlänglich bekannt sind, möchten wir trotzdem noch einmal auf die wichtigsten Aspekte der Krise, verbunden mit konkreten Wünschen, wie man diesen Problemen begegnen kann, hinweisen.
1. Abstandsregelung und Herausbringung geförderter deutscher Filme: Dass die Phase der wiedereröffneten Kinos problematischer ist als die Zeit der Schließung, liegt vor allem daran, dass uns unser wichtigstes Produkt – aktuelle Filme – fehlt. Dies wiederum liegt teilweise auch an den kapazitätsbedingten Einschränkungen für eine für beide Seiten gewinnbringende Auswertung. Für den Start großer internationaler Produktionen, aber auch für zahlreiche größere deutsche Filme, die auch mit Ihrer Unterstützung entstanden sind, sind Lockerungen der Hygienerichtlinien zwingend erforderlich. Während in einigen Bundesländern die Abstandsregelung von 1,50 m bereits abgeschafft wurde, gilt leider immer noch im überwiegenden Teil des Landes eine faktische Kapazitätsbegrenzung von 75 %. Vor diesem Hintergrund scheuen sich nationale wie internationale Verleihunternehmen mit der Herausbringung ihrer, von uns dringend benötigten, Filmproduktionen. Der HDF hat hierzu ein sehr hilfreiches Gutachten der TU Berlin erarbeiten lassen. Wir hoffen, dass mit Ihrer nicht nachlassenden Unterstützung und diesem Gutachten kurzfristig eine flächendeckende Normalisierung des Spielbetriebs möglich wird. Ist es nicht gerade jetzt geboten und geradezu eine Pflicht, dass diese von Ihnen mit vielen Mio. € geförderten, abspielfertigen Produktionen jetzt und sofort herausgebracht werden?
2. Soforthilfe und finanzielle Unterstützung: Deutlich schwieriger gestaltet sich das Maßnahmenpaket zur finanziellen Unterstützung der Kinos. Während von den Ländern und Ihrem Ministerium vor allem Programmkinos Unterstützungen erhielten, entstand bei uns der Eindruck, als sei unsere Arbeit auch in kultureller Hinsicht weniger wert und somit eine Unterstützung nicht erforderlich. Mittlerweile ist deutlich erkennbar, dass im Jahr 2020 maximal die Hälfte des Normalbesuchs realisiert werden kann. Bei einem fixkostenintensiven Geschäftsbetrieb und einem derartigen Umsatzrückgang sind bedingungslose Soforthilfen erforderlich. Das Zukunftsprogramm Kino II könnte eine solche Hilfe sein, wenn es nicht mit Investitionen und einem weiteren Eigenanteil verknüpft wäre. Sehr geehrte Frau Grütters, die noch zur Diskussion stehenden Billigkeitshilfen wären ein geeigneter Anfang, sie dem bereits im März vom HDF vorgelegten Konzept zur Unterstützung der Kinos zu widmen. Dieses Konzept sieht einen Erstattungsbetrag pro fehlendem Besucher im Vergleich zu 2019 auf Basis bereits reduzierter Fixkosten von 4,62 € vor. Auch die bayerische Landesregierung unterstützt mit ihrem Soforthilfeprogramm alle bayerischen Kinos auf Basis des Besuchs 2019.
3. Fixierung einer Fensterregelung auch für internationale Produktionen: Und als wären die Probleme nicht dramatisch genug, erreichte uns diese Woche die Botschaft, dass das Auswertungsfenster zwischen dem weltgrößten Kinobetreiber AMC und einem der größten Studios Universal nunmehr von 90 auf 17 Tage reduziert wurde. Sollte dies auf dem deutschen Markt ebenso Schule machen (immerhin ist die deutsche AMC Tochter UCI nach dem Merger von CinemaxX und Cinestar das zweitgrößte deutsche Kinounternehmen), dürfte dies einen weiteren Besucherrückgang provozieren, den viele Unternehmen nicht mehr ausgleichen könnten. Nicht umsonst hat Ihr Ministerium für deutsche Produktionen ein verpflichtendes Fenster von sechs Monaten festgelegt. Aus der gleichen Überlegung heraus hat unser Nachbar, und in Filmsachen Vorbild, Frankreich ein verpflichtendes Fenster von vier Monaten auch für internationale Produktionen festgeschrieben. Denn dies dient nicht nur dem Kino, sondern auch der lokalen Produktion, wenn gewissermaßen gleiche Wettbewerbsbedingungen herrschen. Wir möchten Sie herzlich bitten, eine solche Sperrfristenregelung auch für internationale Produktionen im Gesetz zu prüfen.
Da in diesem Jahr der HDF-Kongress in Baden-Baden, die internationale Kinomesse in Barcelona und auch die Filmmesse in Köln ausfallen mussten, würden wir uns über einen von Ihnen einberufenen Kinogipfel freuen, bei dem wir Ihnen persönlich und Ihren Mitarbeitern unsere Überlegungen noch einmal darstellen können. Gleichzeitig aber auch Ideen entwickeln, wie man der dramatischen Situation der mittelständischen Filmtheaterunternehmen begegnen kann. Denn ohne eine flächendeckende Lockerung der Kapazitätsauflagen, wirtschaftliche Hilfen und politische Rahmenbedingungen wird es alsbald keine Filme, keine Besucher und keine Kinos mehr geben.
Bricht das Rückgrat der deutschen Kinowirtschaft weg, was ohne weitere Unterstützung in weiten Teilen der Fall sein wird, wird nur noch ein kleiner Teil in der Nische überleben können. Schaffen Sie bitte die Voraussetzung dafür, dass wir auch weiterhin Vielfalt, Qualität und Wirtschaftlichkeit in der deutschen Kinolandschaft darstellen können.
Mit freundlichen Grüßen
Deutscher Kinomittelstand
(der wegen der Kürze der Zeit nur einen Teil der Unternehmen (über 1.300 LW / ca. 40 % Marktanteil) zur Unterstützung zusammenführen konnte)
Die Unternehmerfamilien
Bode Bresser Brinkmann Brunotte/ Hebbel Burmester Closmann
Dunz Ellmann Esch/ von Meerscheid Ewert Fläxl
Flebbe Geiger Glandorf Griesser Gschöpf Haas
Hartung Höfer Holl Hüsch/ Leicher Jaeger Kemme/ Gläser
Kieft/ Pawlowski Lehmann Lochmann Martin Maurer
Meier Mertins/ Sundarp Michel Muckli Müscher Negele
Nennmann/ Thies & Thies Nieuwdorp Ostertag Oude Kotte
Pannenbecker Presse/ Weiss/ Gornowitz Rabe Reck
Riech Rißmann Rusch Rüttgers Sailer Sawatzki
Schäfer Schäfers Scheele Schlinker Schrick Schultz
Schweikart Spickert Strassenburg Stürtz
Theile Thomas Thomsen Thye Thyen Turowski
v. Fehrn-Stender Vesper Weber Wildmann