Höhere Gewalt

Drama, Schweden/Dänemark/Frankreich 2014, 118 min

Tomas und Ebba sind jung, sehen gut aus und haben zwei entzückende Kinder. Sie brauchen nur dringend etwas „Quality Time“ für sich, Tochter und Sohn. Vermutlich hat Ebba den Skiurlaub in den französischen Alpen organisiert, weil sie sich um das Familienwohl sorgt und findet, dass ihr Mann zu wenig Zeit mit dem Nachwuchs verbringt. Tomas wiederum lässt auch im Luxushotel nur ungern von seinem iPhone und wirkt stets leicht abwesend - ob beim gemeinsamen morgendlichen Zähneputzen oder auf der perfekten Piste. Am zweiten Tag ein Zwischenfall. Als die schwedische Familie ihr Mittagessen auf einer sonnigen Terrasse einnimmt, gibt es einen Lawinenabgang ganz in der Nähe. Ein faszinierendes Schauspiel zunächst, doch die Schneemassen rollen genau auf sie zu. Panik bricht aus, die vier fliehen - getrennt. Tomas hat sich und sein iPhone in Sicherheit gebracht, Ebba, Vera und Harry allein gelassen. Der Nebel legt sich, alle sind mit heiler Haut davon gekommen. Doch das Berg-Idyll ist hin. Ebba kann ihrem Mann nicht verzeihen, dass er sie und die Kinder im entscheidenden Augenblick im Stich gelassen hat. Ehekrise, Gespräche mit Freunden, die Kinder sind verunsichert und streiken. Die Frau kann nicht aufhören, die Schuldfrage zu stellen, der Mann versucht abzuwiegeln. Ein Dilemma. Wie verhalten sich Menschen in Extremsituationen? Genügen sie dem gesellschaftlichen Ehrenkodex und den eigenen moralischen Vorstellungen? Regisseur Ruben Östlund kontrastiert seinen spannenden Diskurs über familiäre Strukturen und Moral mit dem gleichförmigen Ablauf der Urlaubstage. Vor der gnadenlos weißen Gebirgslandschaft breitet er in aller Ruhe die Dialoge aus. Die durchgestylten Skiurlauber fügen sich nahtlos in die klinische Reinheit und Perfektion des Hotels und dieses wiederum in die alles beherrschenden Schneemassen. Fredrik Wenzels Kameraeinstellungen erzählen viel über das skurril Ameisenhafte des menschlichen Daseins und die allgegenwärtige Hybris. Das nächtliche Knallen der Gasdruckkanonen etwa, das die Urlauber aus dem Schlaf reißt oder das Ballett der Pistenbullys sind außerordentlich ironisch in Szene gesetzt und machen jeden weiteren Kommentar überflüssig. Eine wunderbar anzuschauende Satire auf das männliche und das menschliche Ego. Jeder bekommt sein Fett weg.
Grit Dora