Titos Brille

Dokumentation, Deutschland 2014, 90 min

In Dokumentarfilme sollte man immer nur rein zufällig geraten, sollte den Menschen ganz unvoreingenommen begegnen. Wie im richtigen Leben. Da würde man einer Frau wie Adriana Altaras, die in deutschen Talkshows auch von der Beschneidung ihrer Söhne erzählt, liebend gern begegnen wollen, um sich einen Teil von ihrem fröhlichen Pragmatismus zu leihen oder sich an ihrem jüdischen Humor zu laben.
Im Kino bekommt man überdies eine handfeste Doppelstunde europäischer Geschichte, wenn die 1960 in Zagreb geborene Regisseurin und Schauspielerin augenzwinkernd versucht, sich dem Erbe ihrer Eltern zu nähern. Sie nennt sie die Dibbuks, die elterlichen Geister, die sie mittels einer Reise in den Süden endlich aus ihrem Leben vertreiben will. Soweit Adrianas Plan. Ihr Vater kämpfte als junger Arzt neben Josip Broz Tito, gemeinsam mit Adrianas Mutter, einer glühenden Kommunistin und namhaften Architektin. Im Nachkriegsjugoslawien gelten beide als Helden, doch dann fällt der angesehene Radiologe Jakob Altaras in Ungnade und muss nach einem Gerichtsverfahren über Nacht das Land verlassen. Die kleine Adriana wird im Kofferraum zur Tante nach Italien geschmuggelt und wächst in einer ständigen Pendelbewegung zwischen Ruhrgebiet und Gardasee auf. Ihr Vater hinterließ neben dem halbwahren Heldentum aus seiner Partisanenzeit noch kistenweise 8-mm Filme, Uniformen, Orden und ungezählte Seitensprünge mit üppigen Blondinen. Die Mutter vermachte zusätzlich noch ein ungeklärtes Restitutionsverfahren gegen den jugoslawischen Staat sowie das jüdische Grab von Adrianas Großvater, der mittlerweile umzingelt ist von toten Christen. Ein Grund mehr, sich in den Benz Baujahr 80 zu setzen und Titos Sommervilla in Slowenien, die 94-jährige Tante Jele am Gardasee, den Cousin in Split, Titos Partisaneninsel Vis, Archive und Anwälte in Zagreb und nicht zuletzt die Gedenkstätte des Lagers Kampor zu besuchen. Denn Adrianas Familie gehörte glücklicherweise zu den 50% (!) der überlebenden Juden im damaligen Dalmatien.
alpa kino

Buch: Regina Schilling

Regie: Regina Schilling

Darsteller: Adriana Altaras

Produktion: zero one film, SWR

Bundesstart: 11.12.2014

Start in Dresden: 11.12.2014