Son of Saul

Drama, Ungarn 2015, 107 min

Mit der Geschichte, ein Kind im Konzentrationslager verstecken zu müssen, ist man ja irgendwie aufgewachsen. Beyer hat es gezeigt, Benigni auch und Spielberg hat es zumindest angedeutet. Und doch würgt man bereits nach zehn Minuten an einem ekelhaften Gemisch aus detailliertem Wissen und unscharfen Bildern. Saul, ein ungarischer Jude in Auschwitz, gehört zum Sonderkommando. Das Sonderkommando war eines der zynischsten Details am Holocaust. Natürlich oblag es den Juden selbst, die Drecksarbeit zu machen; Effekten vor der Gaskammer zu sortieren, Exkremente in der Gaskammer zu beseitigen, die Leichen zu den Öfen und schließlich deren Asche in den Fluss zu bringen. So raubten die Deutschen ihnen zuerst Würde und Selbstachtung und danach das Leben. Saul glaubt inmitten der vergasten Leichen seinen unehelichen Sohn zu entdecken, nackt und halbtot, doch ein zynischer Obduktionsbefehl des Diensthabenden entreißt ihm das kleine Bündel Hoffnung. Als er es zurückbekommt, mit dem Befehl, das nunmehr tote Kind zu den Öfen zu schaffen, fasst er einen verzweifelten Entschluss. Er will es verstecken, einen Rabbi auftreiben, der dem toten Kind das Kaddish spricht und will es ordentlich begraben. Wenigstens dieses eine Mal. Um der puren Menschlichkeit Willen.
Der junge ungarische Regisseur László Nemes versucht das Unfassbare zu zeigen, auch, indem er es auslässt. Seine Kamera hetzt, von Befehlen gejagt und von Klagelauten getrieben, geduckt, immer dicht vor oder hinter Saul, durchs Lager. Emotionslos und mechanisch verrichtet Saul seine Arbeit, sortiert Menschen, schließt Türen, durchwühlt Sachen, zerrt Leichen. In der Unschärfe des Raumes poltert unbarmherzig die Tötungsmaschinerie, der Saul nun zu entkommen sucht. Das kleine Leben fährt vom Obduktionstisch in Sauls Glieder. Angstfrei und dem Tode geweiht gilt sein Tun nur noch dieser einen menschlichen Geste; (s)ein Kind würdevoll zu begraben. Er fürchtet den eigenen Tod weniger als die Drohung, für sein restliches Leben ein widerspruchsloser Teil des Vernichtungsapparates Sonderkommando sein zu müssen.
alpa kino