The Look of Silence

Dokumentation, Dänemark/Finnland/Indonesien/Norwegen/Großbritannien 2014, 103 min

Der 44-jähriger Optiker Adi Rukun ist, ganz landestypisch, ein in sich ruhender Indonesier mit einem durch und durch freundlichen Wesen. Mit ruhiger Hand bestimmt er die Sehschärfe eines alten Mannes. Und fragt ihn, höflich im Plauderton, ob der ihm erzählen könne von jenen Leuten, die seinerzeit wahnsinnig geworden wären. Weil sie zu viele Menschen getötet hätten. Ja…, resümiert der Alte, fast ein wenig belustigt; wenn man nicht das Blut seiner Opfer trinke, würde man eben wahnsinnig. Er wisse das. Schließlich hätte er davon getrunken… Adi Rukun sitzt einem der Mörder seines Bruders gegenüber.
Das menschengemachte Grauen in unserer Welt brächte die Sonne zum Erlöschen, wenn diese nur davon wüsste. Womöglich schlachteten die Aksi-Todes-Schwadronen deswegen ihre Opfer meist nachts an den Ufern des Schlangenflusses, schlugen ihnen Köpfe, Genitalien, Brüste ab, mit der Machete, und warfen sie dann ins Wasser. Manchmal mussten sie einen wieder rausholen und noch einmal erschlagen. Auch Adi Rukuns Bruder Ramli erging es so. Seine doppelte Ermordung fand jedoch bei Tage statt, vor Zeugen. So hatte es Regisseur Joshua Oppenheimer bereits in »The Act Of Killing« dokumentiert. Und hatte damals nicht nur Ramlis Mörder, sondern auch dessen Familie kennen gelernt. In gewisser Weise war Adi der Antrieb zu beiden Filmen. Über die Geschichte seines Bruders erfuhr Oppenheimer überhaupt erst von dem Genozid, Adi bat den Regisseur auch, die Mörder vor die Kamera zu holen, und beschloss schließlich nach Ansicht jener Bilder, das jahrzehntelange Schweigen zu brechen und die Täter zu besuchen. Adis Bruder Ramli Rukun gehörte zu den ca. 1 Mio Menschen, die nach dem misslungenen Militärputsch 1965/66 in Indonesien ermordet wurden. Das ging ganz leicht. Die Armee machte die Mitglieder der KPI verantwortlich für den Umsturzversuch und erklärte so die Kommunisten zu Freiwild. Man gab dem Volk quasi die Machete in die Hand. General Suhartos Militärregime gilt zwar seit 1998 als beendet, aber noch immer leben die Mörder von einst unbehelligt, Tür an Tür mit den Hinterbliebenen der Opfer. Noch immer lehrt man die Kinder in der Schule Lügen über den heroischen Kampf gegen die Kommunisten. Und noch immer sitzt Adi Rukun einem ehemaligen Aksi-Anführer gegenüber, der ihn ganz leutselig verwarnt. Wer heute die Vergangenheit nicht ruhen lässt, läuft morgen schon Gefahr, dass diese sich wiederhole. Es braucht nur einen winzigen Bruchteil des Mutes, welchen dieser indonesische Optiker an den Tag legt, um sich eine Kinokarte zu kaufen. Aber mit dieser Karte könnte man sich ganz tief verbeugen vor Adi Rukun und seinen Landsleuten.
alpa kino

Regie: Joshua Oppenheimer

Kamera: Lars Skree

Produktion: Final Cut for Real, Signe Byrge Sørensen, Errol Morris, Werner Herzog

Bundesstart: 01.10.2015

Start in Dresden: 01.10.2015

FSK: ab 12 Jahren