Hasret - Sehnsucht

Dokumentation, Türkei/Deutschland 2015

Ein gutes Portrait baute immer schon auf die Kraft der Schatten und der verborgenen Seele. Was für eine einzelne Person, ihr Leben und ihre Abgründe gilt, sollte man auch auf eine Jahrtausende alte Stadt anwenden können. Eine solche Metropole abzufilmen, für eine kleine TV-Station mit schmalem Budget; so lautet der Job für ein Doku-Team. Also packen Regisseur, Kameramann und Toneditor ihr Zeug und reisen per Containerschiff nach Istanbul. Die Stadt am Bosporus mit ihrem europäischen und asiatischen Teil beherbergte tausende Jahre die verschiedensten Nationalitäten. Doch das Team soll gar nicht die wechselvolle kulturhistorische Geschichte einfangen sondern nur eine Art bewegtes Postkartenbild. Als Folie für alles Denkbare. Ein Routinejob, meint man, und geht schon der Stadt auf den Leim. Taxifahrer, Müllmänner, Bauarbeiter, Beamte, ganz gleich, alle erzählen von einer anderen Stadt. Jeder Drehtag bringt Entdeckungen und Charaktere. Den Männern klingen die Ohren; Katzen, Liebende, Verrückte, Protestler, Zeloten. Und als seien die Geschichten von Korruption, Freiheit und Religionen noch nicht genug, entdeckt der Regisseur beim Sichten des täglichen Materials immer wieder schemenhafte Schatten. Als hätte er ungewollt ein paar Geister ins Kameralicht gezerrt. Einmal besessen von dieser fixen Idee, zieht er nun los, um gezielt nach eben diesen Bewohnern Istanbuls zu suchen. Den Nichtsesshaften an den Rändern der Stadtviertel, den Nichtzugehörigen an den Bruchstellen der sozialen Schichtung und vor allem den Nimmermüden zwischen Sonnenunter- und Sonnenaufgang. Dabei entsteht eben jenes vielschichtige Istanbul-Essay, welches Ben Hopkins wohl von Beginn an im Kopf hatte, das sich andererseits aber aller Planbarkeit entzieht. Ein leicht mystisch verklärtes Feature über eine Stadt, die sich in den letzten Jahren zu einer der spannendsten Metropolen der Welt entwickelt hat. Und die in ihrer Gänze niemand begreifen wird.
alpa kino