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Winterreise

Doku-Drama, Dänemark/Deutschland 2019, 90 min

»Wie kann man begreifen, wer man ist, wenn man nicht versteht, woher man kommt?« Diese Worte entstammen der Feder von Nora Krug und ihrem Buch »Heimat«, könnten aber gleichwohl bei Adriana Altaras, Jaroslav Rudiš, Susan Abulhawa, bei Natascha Wodin oder Saša Stanišić stehen. Eine zugegeben unvollständige Liste wird nun um den Radiomoderator Martin Goldsmith erweitert, der es nach dem Tod seiner Mutter Rosemarie endlich vermocht hat, seinen noch lebenden Vater George Goldsmith mit der eingangs zitierten Frage zu konfrontieren. Dass seine jüdischen Eltern aus Deutschland stammten und die nahezu gesamte Familie dort irgendwo, irgendwie ums Leben kam, genügte dem Klassik-Spezialisten von npr-Radio nun nicht mehr länger. Der 1952 in St. Louis geborene Martin Goldsmith drängte den Vater in eine Interview-Situation. Auf jahrelanges Schweigen folgt zunächst störrisches Ausweichen, hier souverän aufgetischt von Bruno Ganz (in dessen letzter Rolle), der den ehemaligen Musiker Günther Goldschmidt aus Oldenburg verkörpern durfte. Der Sohn, dessen Fragen immerzu aus dem Off drängeln, entlässt jedoch den Vater nicht. Er erfährt von der Rolle des »Kulturbundes Deutscher Juden«, einer von den Nazis aus Propagandazwecken geduldeten Selbsthilfe-Organisation jüdischer Künstler. Wo Rosemarie und Günther Goldschmidt bis zu ihrer Emigration 1941 aus Deutschland arbeiten durften. Widerwillig löst Vater Goldsmith all die kleinen Knoten, mit denen er sein Leben lang die Vergangenheit in einen dunklen Sack hüllte. Sogar das geliebte Instrument ließ der Konzertflötist beim Betreten der USA in diesem Sack verschwinden, zusammen mit quasi seinem ganzen vorherigen Leben…
In einer atemberaubenden Montage aus dokufiktionalen Rückblicken, privatem wie öffentlichem Archivmaterial und liebevoll grantigen Gesprächsfetzen zwischen Vater und Sohn entrollt sich hier ein Schicksal voller Leben und Leiden, das dem dänischen Regisseur Anders Østergaard wohl viele schlaflose Nächte bereitete, ehe er es in diese brillante Form brachte.
Alpa Kino