Auf der Adamant
Das Schiff „Adamant“ ist eine psychiatrische Tagesklinik in Paris und liegt am Quai de la Rapée, am rechten Seine-Ufer. Hier werden Patientinnen der ersten vier Pariser Arrondissements betreut. Oder um es mit ihren Worten zu sagen; hier suchen jene verkrachten Existenzen Schutz vor dem Lärm der Großstadt, die keine baguette magique, keinen Zauberstab haben. Hier ergründen sie gemeinsam, warum alle an Bord, ohne es zu wissen, Schauspielerinnen sind, warum das Wechselgeld in der Tageskasse der Kaffeebar nicht stimmt, wie es Doisneau verdammt noch mal gelang, dieses Liebespaar vor dem Rathaus zu fotografieren und warum Muriels Gottesanbeterin im Malkurs eine Fliege trägt zum Essen. Zu den erklärten Gefahren bei der psychiatrischen Behandlung von Menschen zählen Wiederholung, Hierarchie, Rückzug, Trägheit, Bürokratie…, weiß Regisseur Nicolas Philibert, dessen Kamera behutsam demonstriert, wie diese Gefahren von der „Adamant“ und ihrer Crew souverän umschifft werden. Unter den Passagieren das Personal auszumachen, fällt zunehmend schwerer, beim Musizieren, Schreiben, Malen, Nähen und Kochen einen Überblick zu behalten über die vielen Talente ebenso. Und überall lauern Überraschungen; wer hätte gedacht, dass Daniel und dessen Bruder einstmals für Wim Wenders' Brüder Travis und Walt in »Paris, Texas« als Vorlage dienten, oder dass der brillante Sänger François ohne Medikamente stehenden Fußes in die Seine spränge.
Nicolas Philibert wünscht sich für die Fortsetzung seines Filmes, an der er gerade arbeitet, ein wenig von der Aufmerksamkeit, die sein Goldener Berlinale-Bär für »Sur l'Adamant« errungen hat. „Was ist verrückt und was normal?“ ist eine unbrauchbare Fragestellung. Und genauso wenig beschreibt die im Grunde korrektere Frage, wer ist krank und wer gesund den Wert eines Menschen. Denn dieser ist unbeschreiblich. Trotzdem werden psychisch Kranke abgesondert, stigmatisiert, und für die Gesellschaft ausrangiert. Es gibt diese Szene, wo die Kamera ein paar der Protagonistinnen beim Containern beobachtet, und dann hören wir eine Stimme beim Zubereiten der geretteten Lebensmittel sagen: „Äußerlich sehen sie beschädigt aus, aber von innen sind sie gut.“
alpa kino
Buch: Nicolas Philibert
Regie: Nicolas Philibert
Kamera: Nicolas Philibert
Produktion: TS Productions, France 3 Cinéma, Longride u.a., Norio Hatano, Céline Loiseau, Miléna Poylo, Clément Reffo, Gilles Sacuto
Bundesstart: 14.09.2023
Start in Dresden: 14.09.2023
FSK: o.A.