Hejar - Großer Mann, kleine Liebe
Ein Schildbürgerstreich vom EU-Aspiranten Türkei: Da gibt es einen Film, der auf menschlich emotionale Weise den Konflikt zwischen Türken und Kurden thematisiert. Mit viel Geld vom Kulturministerium gefördert, räumt er auf diversen Festivals Preise ab. In den türkischen Kinos avanciert er zum Publikumshit. Türken wie Kurden lieben ihn. Einstimmig wird er als türkischer Beitrag für die OSCAR-Verleihung eingereicht. Und dann… wird er von der Zensurbehörde verboten, die Regisseurin angeklagt, sechs Jahre Haft könnten ihr drohen. Derzeit läuft der Prozess gegen sie.
Stein des Anstoßes ist die fünfjährige Hejar. Bei einer Polizeiaktion hat sie ihre Eltern verloren. Ihr Onkel Evdo bringt sie nach Instanbul und bei einer befreundeten Familie unter. Eine weitere Polizeiaktion fordert Tote, Hejar überlebt als einzige. Als sie von dem konservativen, pensionierten Richter Rifat aufgelesen wird, will dieser sie gleich der Polizei übergeben. Da bemerkt er, dass das Mädchen unter Schock steht und beschließt, sie erst einmal bei sich aufzunehmen. In seinem Haushalt arbeitet eine Kurdin als Putzfrau, doch kurdisch gesprochen werden darf hier kein einziges Wort.
Ausgesprochen langsam und holprig entwickelt sich nun die Annäherung zwischen dem Richter und dem Waisenkind. Regisseurin Ipekci setzt dabei nicht auf das ‘süße' Waisenkind, denn Hejar hat für ihr Alter viele Gesichter, mal frech, mal trotzig, mal traurig, überzieht sie den Richter mit diversen kurdischen Flüchen. Das ändert sich auch nicht, als er ihr Kleider kauft, mit ihr spazieren, ja sogar ins Kino geht. Auch seine Versuche, dem Mädchen türkisch beizubringen, schlagen fehl. Erst als er selbst bereit ist, auch kurdisch zu lernen, gewinnt Hejar ihr Lächeln zurück.
Die menschliche Beziehung zwischen dem ungleichen Paar steht im Mittelpunkt des Interesses der Regisseurin Handan Ipekci. Dabei ist sie bemüht, beiden Seiten gerecht zu werden. Und natürlich ist es die kleine Hejar, die mit ihrer Gefühlspalette den selbstgerechten Richter in seinem Weltbild erschüttern lässt und ihm immer wieder das vor Augen führt, was er nie so recht glauben wollte: dass die Kurden genauso liebenswerte Menschen sind wie die Türken. In dieser Annäherung gelingen Ipekci immer wieder Momente bewegender Emotionalität und poetischer Kraft, die ihren Film nicht nur zu einem Entwurf für die Bewältigung eines ethnischen Konfliktes machen, sondern auch zu einem Plädoyer für mehr Menschlichkeit.
Bleibt nur noch zu wünschen, dass die türkischen Gerichte die Regisseurin frei sprechen und den Film in der Türkei wieder freigeben. Kalle Somnitz
Buch: Handan Ipekçi
Regie: Handan Ipekçi
Darsteller: Sükran Güngör, Ismail Hakki Sen, Dilan Ercetin, Füsün Demirel, Yildiz Kenter
Kamera: Erdal Kahraman, Mazlum Çimen
Musik: Serdar Yalçin
Produktion: Yeni Yapim Film, Istanbul, Hyperion S.A., Athens, Tivoli-Filmproductions, Budapest, Handan Ipekçi, Nikos Kanakis, Dénes Szekeres, Supported by: Motion Picture Public Foundation of Hungary, TV2, Eurimages, Cultural Ministry of Turkey, Greek Film Centre
Bundesstart: 17.04.2003
Start in Dresden: 24.04.2003