Die Mutter - The Mother

Drama, Großbritannien 2003, 111 min

May und Toots fahren nach London, nach Notting Hill, um ihre Kinder und Enkel zu besuchen. Die Hektik der Großstadt überfällt sie sofort, das urbane Chaos setzt sich im Leben ihrer Kinder fort: Ihr geschäftstüchtiger Sohn hängt ständig am Telefon, die Schwiegertochter hat gerade eine Boutique eröffnet und raunzt dem Kindermädchen Anweisungen zu, bevor sie aus dem Haus stürzt. Die Enkelkinder sind mit ihren eigenen Aktivitäten beschäftigt und interessieren sich nicht für die alten Fremden, die zu Besuch gekommen sind. Toots und May haben auch eine Tochter, Paula, die als allein erziehende Mutter ständig um Zeit für sich selbst und ihr kreatives Schreiben kämpft.
Nach einem Familien-Abendessen in Paulas Wohnung kann Toots nicht schlafen. Scherzhaft schiebt er das auf die Kochkünste seiner Tochter, aber später in der Nacht stirbt er im Krankenhaus an einem Herzinfarkt.
May bleibt daraufhin erst einmal in der Stadt und kehrt nicht nach Hause zurück. Sie hat Angst, eine dieser unsichtbaren Frauen zu werden, denen die Kraft zur Eigenständigkeit abhanden kommt, die als Seniorin tatenlos auf das Ende ihres Lebens warten. Sie sieht die Möglichkeiten, die sich ihr nun bieten und beschließt, ihr Leben neu zu gestalten. Vorerst quartiert sie sich bei der Tochter ein. Paula ist mit Darren mehr oder weniger zusammen, der ihrem Bruder den Wintergarten aufmöbelt. Zwischen Paulas Bruder und seiner Frau herrscht Dauerkrise, und Paula muss Darren mehr hinterher laufen, als es bei einer ausgewogenen Beziehung normal wäre. May findet sich inmitten dieses Chaos wieder und erkennt, dass es hinter den bourgeoisen Fassaden ihrer erwachsenen Kinder kräftig bröckelt. Bis Darren ihr plötzlich längere Blicke zuwirft. Und sie die seinen erwidert. Darren beginnt ein Verhältnis mit May, der Mutter seiner Geliebten, Paula…
Regisseur Roger Michell (»Notting Hill«, 1999) hat mit »The Mother« abermals ein Drehbuch von Hanif Kureishi verfilmt. Der ist hierzulande 1986 mit »Mein wunderbarer Waschsalon« bekannt geworden. Kureishi ist auch der Autor des Romans »Intimacy«, den Patrice Chéreau für die Leinwand adaptierte und dafür auf der BERLINALE 2001 mit dem Goldenen Bären ausgezeichnet wurde.
Seine Geschichten sind kleine moderne Geschichten, in denen leise der Abgrund lauert. Geschichten über tiefe Seelenverletzungen. Hanif Kureishi beweist mit diesem Portät eines Generationenkonflikts erneut sein großes Gespür für Nuancen und präzise Beobachtungen menschlichen Verhaltens.
Der Regisseur verlässt sich ganz auf die Präsenz der Darsteller, wobei in erster Linie Anne Reid als Mutter zu überzeugen weiß. Dank ihrer differenzierten Darstellung erweckt diese Figur in gleichem Maße Sympathie und Ablehnung, ein neutraler Blick auf die geschilderten Konflikte, woraus die bemerkenswerte Qualität dieses Films resultiert.
Bei den diesjährigen Filmfestspielen in Cannes gewann »The Mother« den Preis für den besten Europäischen Film.