Die Geschichte vom weinenden Kamel

Dokumentation, Deutschland 2003, 90 min

“Mama, wenn das Kleine keine Milch bekommt, muss es dann sterben?“, fragt Ugna, der selbst noch solch ein Knirps ist, dass er zwischen die Höcker eines liegenden Kamels gehoben werden muss.
Aber dann treibt er das Riesentier fast 800 Kilometer weit durch die Wüste Gobi, um mit seinem Bruder Hilfe für das weiße Kamelfohlen zu holen. Ein Musiker soll mit dem Spiel auf der Pferdekopfgeige das Herz der Kamelmutter erweichen, dass sie ihr Junges annimmt.
»Die Geschichte vom weinenden Kamel« ist ein kleiner, großer Film, der so universell ist, dass er das Publikum zwischen Australien und Kanada (zu Tränen) rührt. Es ist ein Ausflug in eine Welt, deren Tage gezählt scheinen. In die Welt der mongolischen Hirtennomaden, die einer lebensspendenden wie unerbittlichen Natur verbunden sind. Deren Leben darin besteht, Jurten aufzubauen, Feuerholz zu sammeln, Tiere zu versorgen und ihren Kindern Legenden zu erzählen. Wie die vom Kamel, das von Gott für seine Gutmütigkeit ein Geweih geschenkt bekam, es dem Hirsch lieh und noch heute nach ihm Ausschau am Horizont hält.
Bedient der Film hier die Sehnsucht nach erdverbundener Natürlichkeit, ohne in billigen Romantizismus abzugleiten, so zeigt er im uralten Musik-Ritual etwas, das jenseits unseres aufgeklärten Weltzugangs liegt. Mit seinen Worten bringt es ein junger Schamane auf den Punkt: Weil die Menschen die Erde wegen ihrer Schätze immer mehr ausbeuten, sind die Geister, die sie doch vor Unwetter und Krankheit schützen sollen, scheu geworden. Es ist an der Zeit, um Vergebung zu bitten, „damit die Geister wieder heimkehren“.
»Die Geschichte vom weinenden Kamel« überzeugt auch filmisch: Landschaftsaufnahmen fern vom Postkartenklischee, der Versuch, über Bilder zu erzählen, statt sprechende Köpfe aneinander zu reihen und der Verzicht auf jeglichen Kommentar. Die beiden Regisseure, die Mongolin Byambasuren Davaa und der Italiener Luigi Falorni, Studenten an der Münchner Filmhochschule, sehen sich in der Tradition von Robert J. Flaherty. Der Amerikaner gilt mit »Nanuk, der Eskimo« (1922) als Vater des Dokumentarfilms. Davaa und Falorni folgen ihm im Prinzip der teilnehmenden Kamera. Sie zeigen, was sie sehen, inszenieren behutsam, was unsichtbar bliebe, filmen im Einverständnis mit ihren „Helden“. Entstanden ist so das faszinierende Doppelbildnis der „letzten Menschen“: So wie sie die Kamera sieht und so, wie sie sich durch die Kamera gesehen wissen wollen.
Udo Lemke

Buch: Byambasuren Daava, Luigi Falorni

Regie: Luigi Falorni, Byambasuren Davaa

Kamera: Luigi Falorni

Produktion: HFF München, Tobias Siebert, BR

Bundesstart: 08.01.2004

Start in Dresden: 08.01.2004