2 oder 3 Dinge, die ich von ihm weiß

Dokumentation, Deutschland 2004, 85 min

“Du kannst die Vergangenheit ignorieren, aber die Vergangenheit ignoriert dich nicht.“ Amos Oz
Hanns Ludin, der Vater des Regisseurs, wird bereits in der Weimarer Republik berühmt, weil er in der Reichswehr für Hitler konspiriert. Nach 1933 steigt er schnell zum SA-Obergruppenführe r auf. 1941 schickt ihn Hitler als Gesandten in den „Schutzstaat“ Slowakei. Als „Bevollmächtigter Minister des Großdeutschen Reiches“ soll er dort die Interessen Berlins durchsetzen: vor allem die „Endlösung“. Nach dem Krieg wird Hanns Ludin von den Amerikanern an die Tschechoslowakei ausgeliefert, 1947 zum Tode verurteilt und hingerichtet.
Malte Ludin hatte ursprünglich eine Suche nach dem unbekannten Vater im Sinn. Entstanden ist jedoch ein Dokument, das weniger die Biographie des Vaters erkundet, die ob der zahlreichen Relikte bis hin zu Bildaufnahmen vom Prozess 1947, in dem Hanns Ludin zum Tode verurteilt wurde, beinahe lückenlos geheimnislos ist. Das eigentliche Thema von »2 oder 3 Dinge, die ich von ihm weiß«, ist der unterschiedliche Umgang der Familie mit dem Täter-Vater.
Solange die Mutter noch lebte, sagt Malte Ludin, hätte er den Film nicht machen können. Erla Ludin hat über das Andenken an ihren Mann gewacht wie eine Löwenmutter, erst ihr Tod 1997 hat die Nachgeborenen gleichberechtigt in eine Diskussion eintreten lassen. Zwei von Maltes Geschwistern sind tot, bleiben Barbel, Ellen und Andrea, die drei Schwestern. Wenn man sich fragt, warum sie überhaupt in den Film eingewilligt haben, da sie anders als der jüngste Sohn Malte kein Fehlen im Tun des Vaters erkennen können, dann verkennt man, wie tief sie von ihrer Wahrheit über Hanns Ludin überzeugt sind, die sie vertreten wollen, denn „den Film hättest du so oder so gemacht.“ „Wenn du denkst, dass du mit dem Film etwas ändern kannst, dann bist du einem Fehlschluss aufgesessen“, sagt Barbel gleich zu am Beginn von »2 oder 3 Dinge, die ich von ihm weiß« zu ihrem Bruder.
Der Film erzählt vom Ringen um eine Wahrheit, die - nüchtern betrachtet - offensichtlich ist. Es gibt aus den frühen Tagen der „Bewegung“ Bilder, auf denen Hanns Ludin zwischen Hitler, Göring und Heß zu sehen ist. Es gibt Reden, Akten und Befehle, die unzweideutig beweisen, dass Hanns Ludin, der Nazi-Deutschland an prominenter Stelle gedient hat, zutiefst überzeugt war von der menschenverachtenden Ideologie des NS-Staates. Und trotzdem ist der einzige Vorwurf, den Barbel ihrem Vater machen will, dass er sich „ab 1941 nicht richtig informiert hatte“, um gleich darauf einzuschränken, „aber wer hätte ihm was sagen können“. In solchen Momenten wird deutlich, wie sehr die Schwestern Kinder ihres Vaters sind, der sich wie viele Nazis vor der Verantwortung für seine Taten durch Leugnung entziehen wollte. Wenn Ellen sagt, dass sie sich nicht als Täterkind bezeichnen kann, weil sie ihren Vater als Opfer sieht. Wenn Andrea sich als Alibi für ihre Haltung auf den Vater beruft, der seiner Frau aus dem Gefängnis schrieb, sie solle den Kindern sagen, dass sie stolz auf ihren Vater sein könnten: „Das macht doch nicht einer, der in Wahrheit der übelste Verbrecher gewesen ist. Das hält doch keiner aus.“ Das Drama der Schwestern besteht in ihrer sturen Uneinsichtigkeit, in der die Vorstellung nie Raum hätte, dass es sich im Bewusstsein der wahren Tatsachen vielleicht befreiter leben ließe als an der Front des ewigen Selbstbetrugs.
»2 oder 3 Dinge, die ich von ihm weiß« macht sichtbar, woran es einer Gesellschaft mangelt, in der man wie etwa im Berliner Bezirk Steglitz-Zehlendorf geschehen, keines Opfers der Nazi-Herrschaft mehr gedenken will, ohne zugleich die eigenen Kriegstoten aufzubieten: an Demut. Dabei bietet Malte Ludins Film genug Anlass dazu.
Wie schwer die reflektierte Auseinandersetzung mit der Vergangenheit der eigenen Familie fällt, zeigt zuletzt, dass Malte Ludin noch bei den Recherchen zu dem Film die Hoffnung nicht aufgegeben hatte, doch noch etwas zu finden, das seinen Vater entlasten könnte.
»Zwei oder drei Dinge, die ich von ihm weiß« belegt eindrucksvoll, warum alle Rufe nach einem „Schlusstrich“ ins Leere laufen, solange Verleugnung und Lebenslüge Alltag sind.

Buch: Malte Ludin

Regie: Malte Ludin

Kamera: Franz Lustig, Birgit Gutjonsdottir, Martin Gressmann

Musik: Werner Pirchner, Hakim Ludin, Jaroslav Nahovica

Produktion: Svarc. Film, Iva Svarcová

Bundesstart: 07.04.2005

Start in Dresden: 07.07.2005

FSK: ab 12 Jahren