Die Frau des Leuchtturmwärters

Drama, Frankreich 2004, 105 min

In seinem vierten Kinofilm erzählt Philippe Lioret die Geschichte einer Männerfreundschaft und einer unmöglichen Liebe.
»Die Frau des Leuchtturmwärters« spielt weit weg von der Metropole Paris, auf der bretonischen Insel Ouessant. Eine junge Frau, Camille, kehrt zurück, um ihr Geburtshaus zu verkaufen, das seit dem Tod der Mutter unbewohnt ist. In einer letzten Postsendung befindet sich ein Buch. Das Umschlagbild zeigt den Leuchtturm „La Jument“ - Arbeitsplatz des Vaters und Fixpunkt ihrer Kindheit. Neugierig beginnt Camille zu lesen. Sie erfährt Dinge, von denen sie nichts wusste und die ihre Identität in ein neues Licht stellen. Mit der Lektüre des Buches, das von einem Unbekannten zugesandt worden ist, springt der Film in einer langen Rückblende ins Jahr 1963, in eine Zeit, da die Bretonen noch vom Fischfang lebten und sich Touristen von der rauen Küste fern hielten. Die Kamera von Patrick Blossier fängt in träumerisch-elegischen Bildern die Schönheit dieser Landschaft ein. Doch die Geschichte, die nun erzählt wird, bricht dieses Idyll auf: Ein Fremder hat sich auf die Stelle des Leuchtturmwärters beworben, doch die bretonischen Inselbewohner misstrauen jedem, der nicht einer von ihnen ist. Inmitten seiner Einsamkeit fühlt sich Antoine magisch angezogen von Mabé, die Sandrine Bonnaire mit einer Mischung aus resoluter Eleganz und unterkühlter Leidenschaft spielt. Doch auch zu ihrem Mann Yvon, hervorragend in Szene gesetzt von Grégori Dérangère, entwickelt sich eine Freundschaft, die das fragile Gleichgewicht der Dorfgemeinschaft ins Wanken bringt.
Der Film lebt weniger von den Dialogen als von unausgesprochenen Worten und Gefühlen. Es sind die kleinen Gesten, die ausweichenden, scheinbar bedeutungslosen Nebensätze, die Mimik der Akteure, in denen sich die verschlossenen und zugleich sensiblen Charaktere offenbaren.

Jeder sucht sein Ende der Welt - aus einem Interview mit dem Regisseur:
Ihr Film ist auch optimistisch, ja auch witzig …
Meine ersten Filme waren Komödien, das prägt. Außerdem mag ich nicht, wenn ein Film zu „schwer“ wird und sich selbst zu ernst nimmt.
Einziger Ort der Handlung ist die Insel Ouessant?
Ja, alles passiert hier. Mein Co-Autor und ich, wir wollten uns auf das Leben einer kleinen, nach außen hin abgeschotteten Gemeinschaft konzentrieren. Wir waren sicher: Je genauer wir die Besonderheiten dieser kleinen Gruppe darstellen, desto größer würde das Identifikationsangebot für den Zuschauer. Jeder sucht ja irgendwie nach seinem „Ende der Welt“. Auf mich übt zum Beispiel das Meer eine unglaubliche Anziehungskraft aus - Ouessant ist hierfür perfekt.
Wie gut kannten sie die Insel?
Wir wollten keine Dokumentation über Ouessant drehen. Um dem vorzubeugen, schrieben wir das Drehbuch, ohne vorher jemals einen Fuß auf die Insel gesetzt zu haben. Aus demselben Grund waren wir auch nie vorher auf einem Leuchtturm. Das ist ja auch kein Leuchtturmfilm. Trotzdem wollten wir natürlich auch die besonderen Gegebenheiten vor Ort berücksichtigen. Wir wollten auch auf Details des Lebens dort eingehen. Deswegen haben wir auch wie für eine Dokumentation recherchiert. Wir hatten telefonischen Kontakt zu dem Leuchtturmwärter von Kéréon. Und als ich dann zum Dreh auf Ouessant und auf „La Jument“ war, hatte ich oftmals dieses merkwürdige Gefühl eines déjà-vu.
Der Film erzählt von Männern, die von der Welt abgeschnitten sind, auf einem Leuchtturm im tosenden Meer….
Das Leben dieser Männer ist heroisch. Ein Turm mitten im Meer ist ein extrem gefährlicher Ort. Ein einfacher Durchzug kann einen in den Tod reißen. Nicht umsonst nennen die Männer ihren Arbeitsplatz die „Hölle“. Der Leuchtturm von Kéréon ist erst vor kurzem automatisiert worden. Es war der letzte von Leuchtturmwärtern beaufsichtigte Turm. Das ist das Ende eines Berufstandes, das Ende dieser Welt. Es gibt sie nicht mehr, die Schichtwechsel, die Leuchtturmwärter, die manchmal sechzig Tage in ihrem Turm eingeschlossen waren, weil die stürmische See keine Ablösung zuließ. Männer, oftmals am Rande des Wahnsinns, die um jeden Preis das Feuer in der Lampe am Brennen halten mussten, egal wie hoch die Windstärke und wie heftig die Wucht der meterhohen Brecher waren, die die Leuchttürme bis in die Grundfesten erschütterten. Wie alle richtigen Helden sind diese Männer sehr bescheiden und spielen herunter, was sie während ihres Dienstes leisten. Aber, was für Kerle! Der Film ist auch eine Hommage an sie.
Es gibt das Duell Mensch gegen Natur, aber auch das des Einheimischen gegen den Fremden, es gibt eine Frau zwischen zwei Männern, ein Bistro als Treffpunkt, eine Hauptstraße…Das ist wie in einem Western!
Ein Fremder, der in einem kleinen Ort absteigt, wo ihn zunächst alle ablehnen, der zudem jeden herausfordert und ihn veranlasst, sein Innerstes preiszugeben. Das ist wirklich nicht weit von den Codes des klassischen Western, das stimmt.
Es ist auch ein Film über Erinnerung und Überlieferung. Camille entdeckt das Familiengeheimnis dadurch, dass sie in ihr Elternhaus zurückkehrt. Ich liebe Filme, die auf diese Art verstören und uns an unsere eigene Geschichte erinnern. »Die Frau des Leuchtturmwärters« könnte auch »Das Familiengeheimnis« heißen. Das ist ein Thema, das mich beschäftigt: Wie waren unsere Eltern wirklich und wie haben sie gelebt? Das Elternhaus ist ein „Schrein“, denn es ist oft der einzige Aufbewahrungsort unserer Kindheitserinnerungen. Es ist ein Museum und damit genauso wichtig wie beispielsweise das Schloss von Versailles.
Warum haben Sie nach „Mademoiselles“ ein weiteres Mal die Zusammenarbeit mit Sandrine Bonnaire gesucht?
Wir kennen uns wirklich sehr gut, ein kurzer Blickwechsel zwischen Sandrine und mir, und wir wissen, was der andere meint. Sie war die einzige, die von Anfang an in das Projekt eingebunden war. Für mich war es das erste Mal, dass ich schon während des Schreibens einen ganz konkreten Schauspieler im Kopf hatte. Das war toll!