Winter's Bone

Drama, USA 2010, 99 min

Das Leben sei wie ein EKG, hat die Regisseurin Debra Granik mal gesagt - auf und ab, auf und ab. »Winter's Bone« hat bei sehr oberflächlicher Betrachtung nur die Niederungen der menschlichen Spezies zu bieten: Mord, Verrat, Bedrohung, Drogensucht und Gewalt. Das Umfeld ist eines, das dem durchschnittlichen deutschen Kinozuschauer nicht zwingend vertraut ist und das auch mit dem Begriff „White Trash“ nicht treffend beschrieben wird. Im südlichen Missouri herrscht ein rauer Umgangston. Die Männer leben vom Crystal Meth, das sie selbst kochen und auch konsumieren, die Frauen haben nicht viel zu sagen und irgendwie sind auch noch alle miteinander verwandt. Die 17-jährige Ree ist eine „echte Dolly“, wie sie mit Stolz auf ihren Familiennamen sagt: also mit viel Mut und einem starken Willen ausgestattet - beides Eigenschaften, die schon im normalen Alltag der Ozark-Bergregion überlebenswichtig sind. Ihr Vater ist Ex-Knasti, Crystal-Kocher und immer mal für längere Zeit verschwunden, die Mutter in Depressionen versunken. Mit den beiden kleinen Geschwistern übt Ree nicht nur Rechnen und Schreiben, sondern auch Schießen („den Finger erst an den Abzug, wenn du was im Visier hast“). Die Lage der Familie spitzt sich dramatisch zu, als der Vater nicht zu einer Gerichtsverhandlung erscheint und der Verlust von Haus und Grundstück droht, die er für seine Kaution verpfändete. Ree muss ihn also finden, dazu ist sie wild entschlossen. Allerdings bekommt sie von keiner Seite Unterstützung, im Gegenteil. Es scheint, als verbergen alle etwas. Ree wird bedroht und muss sogar Prügel einstecken. Aber wie kann sie aufgeben? Mit der Mutter und den Kleinen säße sie auf der Straße.
Fasziniert folgt man Ree durch die Wälder und in düstere Kneipen oder auf völlig heruntergekommene Höfe. Erstaunlicherweise kann man durch diesen toughen Teenager die mürrischen, aggressiven oder verbitterten Nachbarn und Verwandten zumindest ein bisschen verstehen. Hinter rauen Oberflächen gibt es Loyalität und Hilfsangebote. Ein Banjo und alte Fotos zeigen ganz unprätentiös, dass auch hier vertraute Sehnsüchte schlummern. Aber ohne die mehr als überzeugende Leistung von Jennifer Lawrence als Ree (nominiert für einen OSCAR), eine gelungene Kameraarbeit und die Authentizität des Ortes wäre das alles zur Unterschichtenromantik geraten. So aber schauen wir mit Bewunderung einer jungen Frau zu, wie sie für ihre Werte und ihre Familie kämpft. Da kann man sich nur wünschen, dass Debra Granik nach dem Gewinn des Großen Jurypreises von Sundance und vier Oscar-Nominierungen für »Winter's Bone« bald wieder einen neuen independent Film vorlegt.
Petra Wille