An ihrer Stelle
Bei den Filmfestspielen in Venedig sorgte dieser Film 2012 für einen Beinahe-Skandal. Denn Regisseurin Rama Burshtein traut sich, das Leben in einer ultra-orthodoxen jüdischen Gemeinde zu zeigen, ohne es zu verurteilen. »An ihrer Stelle« ist ein vielschichtiges Drama und erlaubt einen faszinierenden Blick in eine verschlossene Welt. Die Hauptdarstellerin Hada Yaron wurde in Venedig als beste Schauspielerin ausgezeichnet.
Shira und ihre Mutter schleichen an Supermarktregalen entlang und linsen um die Ecke. Ist er das? Ist das Shiras zukünftiger Ehemann? Die junge Frau ist eine „Charedi“, sie gehört einer strenggläubigen jüdischen Gemeinde in Tel Aviv an. Ihre Welt wird durch religiöse Rituale und Traditionen bestimmt. Eines dieser Rituale ist die Eheanbahnung, bei der die Eltern den zukünftigen Partner vorschlagen. Allerdings ist es an den Kindern, zu entscheiden. Zur Ehe gezwungen werden sie nicht. Shira ist begeistert, der Auserwählte gefällt ihr. Aber das Schicksal entscheidet anders. Ihre Schwester stirbt bei der Geburt ihres Kindes. Damit die Familie nicht völlig auseinander bricht, macht Shiras Mutter einen unmöglich erscheinenden Vorschlag: Shira soll ihren verwitweten Schwager heiraten.
Die Geschichte klingt haarsträubend, und man erwartet, dass eine Regisseurin, eine Frau der modernen Welt, hier verurteilend Stellung bezieht. Aber »An ihrer Stelle« ist kein Film, dem seine Lesart schon eingeschrieben ist, der dem Zuschauer seine moralische Entrüstung gleich mitliefert. Obwohl es ein Leichtes wäre, die Praktiken und Ansichten der Charedim („Gottesfürchtigen“) vorzuführen. Männer gehen in dieser Welt oft keiner Arbeit nach, sondern vertiefen sich ganz in das Studium der Thora. Frauen sind oft besser ausgebildet, arbeiten und verdienen das Geld, können sich aber nicht frei entfalten und sind ihren Männern gegenüber zu Gehorsam verpflichtet.
Der Film zeigt scheinbar aus der Zeit gefallene Bräuche und Traditionen, die sich inmitten unserer modernen Gegenwart halten. Er erlaubt einen Blick in eine echte Parallelgesellschaft, und entsprechend spielt »An ihrer Stelle« größtenteils in geschlossenen Räumen. Nur selten wagt er sich auf die Straße, und wenn, dann trennt eine sehr flache Tiefenschärfe die Figuren von ihrer Umwelt. Rama Burshtein leugnet nie die Enge dieser Welt. Und sie zeigt die Rolle, die der Frau zugedacht ist. Vor allem bei Ritualen bleiben sie stets demütige Zaungäste.
Über ihren ersten Spielfilm sagt die Regisseurin: „Ich glaube, die einzige Möglichkeit, eine Brücke zwischen der religiösen und der säkularen Welt zu schlagen, ist unvoreingenommene Aufrichtigkeit. Der gemeinsame Nenner muss in den Herzen der Menschen gefunden werden.“
Buch: Rama Burshtein
Regie: Rama Burshtein
Darsteller: Hadas Yaron, Yiftach Klein, Irit Sheleg, Chayim Sharir, Razia Israeli, Hila Feldman
Kamera: Asaf Sudri
Musik: Yitzhak Azulay
Produktion: Assaf Amir
Bundesstart: 11.07.2013
Start in Dresden: 11.07.2013
FSK: ab 6 Jahren