Das radikal Böse

Dokumentation, Deutschland/Österreich 2013, 96 min

„Euer Papa schießt nicht über das Maß hinaus.“ Hier meint „Papa“ echte Erschießungen, das ist nicht nur eine Redensart. Zwischen 1941 und 1945 erschossen Einsatzgruppen und Polizeibataillone insgesamt mindestens 2,2 Millionen Menschen, meist Juden. Das ist etwa ein Drittel der Holocaustopfer. Und das bedeutet, dass viele junge Männer dort tage- und wochenlang nichts anderes taten, als Menschen in ihren Dörfern zusammenzutreiben und sie zu Hunderten und Tausenden zu erschießen - Männer, Frauen, Junge, Alte, kleine Kinder. Das waren dieselben Männer, die nach Kriegsende zu ihren Familien heimkehrten. Denen hatten sie zuvor Briefe geschrieben und berichtet, was ihr „Alltag“ ist. Bis heute versuchen wir zu verstehen, wie es dazu kommen konnte. Dieser Film von Stefan Ruzowitzky (»Die Fälsche«, »Anatomie«) ist ein weiterer Beitrag dazu, er verbindet wissenschaftliche Forschungsergebnisse mit Zitaten aus Briefen und Berichte von Zeitzeugen. Renommierte Forscher beschreiben mehr oder weniger bekannte Experimente zu Gruppendynamik und Autoritätshörigkeit (Milgram, Stanford-Prison), die Ruzowitzky nachspielen lässt. Auf einer kargen Theaterbühne sind Menschen zu sehen, die anderen vermeintlich Stromstöße geben und nicht damit aufhören, obwohl die Dosis tödlich sein kann - sie gehorchen den Anweisungen eines vermeintlichen Versuchsleiters. Andere Probanden quälen als Gefängniswärter im Experiment die anderen, als Gefangene eingeteilten Probanden, bis das Experiment eskaliert und abgebrochen werden muss.
Zu den Passagen aus den Briefen (gelesen u.a. von Alexander Fehling, Benno Fürmann und Devid Striesow) stellt Ruzowitzky Szenen nach, in denen Soldaten zusammensitzen, für Fotos posieren oder im Wald verzweifelt den Schock nach der ersten Erschießung verarbeiten. Über diese gewählte inszenatorische Form lässt sich streiten und auch die Betonung der gelesenen Passagen mag ab und an zu viel Interpretation enthalten - wichtig an diesem Film ist die Differenziertheit der Betrachtungen: Ja, es gab die Möglichkeit, Schießbefehle zu verweigern. Aber womöglich nicht überall, und als Feigling und „kein richtiger Mann“ vor den anderen dazustehen (die statt einem selbst die „Drecksarbeit“ machen) ist unter Soldaten extrem hart. Wie dort Zusammengehörigkeit geschaffen wird und wie stark die „brotherhood of war“ wirkt, erläutert ein ehemaliger Militärpsychologe. Ja, es gab auch welche, die dem Blutrausch verfielen. Vielmehr wurde das Erschießen allerdings zur Normalität, und auch dazu werden viele Gründe und psychologische Mechanismen angeführt. Und schließlich gab es auch diejenigen, die sich umbrachten oder verrückt wurden, weil sie sich nicht daran gewöhnen konnten.
Was am Schluss leider nur noch ganz kurz angerissen wird: die Frage nach dem eigenen Handeln. Glauben Sie nicht, Sie würden sich verweigern können - aber versuchen Sie, bereits kleinen Vorfällen Aufmerksamkeit zu schenken und veröffentlichen Sie die Beweise!
Petra Wille

Buch: Stefan Ruzowitzky

Regie: Stefan Ruzowitzky

Kamera: Benedict Neuenfels

Musik: Patrick Pulsinger

Produktion: docMovie, Aichholzer Filmproduktion, Wolfgang Richter

Bundesstart: 16.01.2014

Start in Dresden: 16.01.2014

FSK: ab 12 Jahren