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Einfach das Ende der Welt

Drama, Kanada/Frankreich 2016, 99 min

Xavier Dolan kann Familie. Seine Filme kreisen um die Lieben. Denen man nie entkommen kann. Entfliehen ja, entkommen aber nie. Geflohen aus dem Elternhaus war auch Louis (Gaspard Ulliel) zwölf Jahre zuvor, als er noch kein erfolgreicher Schriftsteller war und dringend frische Luft zum Atmen brauchte. Da hat er Mutter, Bruder und kleine Schwester einfach sitzen gelassen. Hat mal eine Karte geschrieben und den Umstand genossen, dass sie ihrerseits nicht groß nach dem Absender geforscht haben. Jetzt, wo die Kerze von beiden Seiten brennt, Louis wird bald sterben, da kehrt er für ein letztes Mal zurück. Die Einladung zum Essen hätte er eigentlich ausgeschlagen, aber so könnte er seinen baldigen Tod annoncieren… Dolan inszeniert das Theaterstück des HIV-kranken Autors Jean-Luc Lagarce als unerfreuliches Kammerspiel einer gekränkten Familienseele. Hinlänglich getarnt als Schrei nach Liebe treten alle nur denkbaren Facetten zutage; von Neid bis Bewunderung oder von Verbitterung bis stillem Verständnis, jeder einzelnen muss sich Louis stellen. Wehmut empfindet er, wenn die Mutter (Nathalie Baye) in die Küche flieht, Zorn erntet er vom Bruder (Vincent Cassel), den Joint von der kleinen Schwester (Léa Seydoux) und erschrockene Trauer spricht aus den Augen der Schwägerin. Sie (Marion Cotillard) scheint ein Gespür für Louis' Situation zu haben. Verliert man diese nicht aus dem Blick, dann erträgt man auch die emotionale Wucht, mit der die Figuren hier aufeinander prallen. Stirb du doch mal und geh es ihnen sagen! Im Grunde sind sie eine ganz normale, verrückte Familie. Die das Gefühlschaos einer sprachlosen Umsicht vorziehen, meinte Dolan in Cannes, mit dem Preis in seinen Händen. Der vorliegende Film ist bereits der vierte, der beim südfranzösischen Filmfestival gezeigt wurde. Er fegte mit einer solchen Wucht über die Leinwand, dass etliche Kritiker den Saal verließen und die übrig gebliebenen ihm den Großen Preis der Jury verliehen.
alpa kino