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Inception Re-Relase

Action/Science-Fiction, USA/Großbritannien 2010, 163 min

Hat Warner Bros. seinen neuen Kubrick gefunden? Christopher Nolan gelingt das Kunststück, mit jedem neuen Film den eigenen Vorgänger zu übertrumpfen. Nach vier Anläufen gewährte ihm das Hollywoodstudio nun den „Final Cut“ für seine Werke, ein Zugeständnis, von dem zuvor nur Stanley Kubrick profitieren durfte. Übereifer oder Respektbekundung? Die Redaktion des „Kinokalender Dresden“ ist sich uneins.

Pro:
Bestaunt, gelobt, gefeiert: James Camerons Sci-Fi-Epos »Avatar« avancierte innerhalb weniger Wochen zum absoluten „Überfilm“, grenzenlose Lobhudeleien und Bewunderung seitens Kritiker und Publikum für den Regisseur, der ein neues Kapitel der Filmgeschichte eröffnet habe. Selten zuvor war es so schwer, eine gegensätzliche Meinung plausibel begründen zu können. Zweifel aufgrund fehlender inhaltlicher Tiefe oder überraschungsarmen Storyverlaufs wurden mit dem Argument hinweggefegt, man solle sich am Optischen ergötzen und die realistische Pandora-Welt genießen.
Der gebürtige Brite Christopher Nolan, spätestens seit »The Dark Knight« jedem aufmerksamen Kinogänger ein Begriff, hat mit »Inception« nun einen künstlerisch anspruchsvollen Gegenentwurf geschaffen. Ebenfalls allerorten bestaunt, gelobt und gefeiert, zeigt sich hier, woran es »Avatar« mangelt - und warum »Inception« die tatsächliche Zukunft des Blockbuster-Kinos sein sollte.
Grund 1:
Wie in vielen seiner Werke zuvor ist Nolan ein Regisseur, der sein Publikum von der ersten Sekunde an fordert. Zu-Spät-Kommer, Quasselstrippen und SMS-Schreiberlinge haben vor seiner Leinwand keine Chance. Aufmerksamkeit ist Voraussetzung, Schlussfolgerungen werden dem Zuschauer überlassen. Ein Novum für Filme, die ein Budget jenseits der 100 Millionen Dollar vorzuweisen haben (und das schließt »Avatar« mit ein).
Grund 2:
Während Cameron für sein dreistündiges Epos aus eigener Feder lediglich die Geschichte vom Einfall des Menschen ins Paradies variiert und als notwendiges Anhängsel seiner visuellen Wunderwelt mitschleift, schuf Nolan etwas gänzlich Neues: kein Comic, kein Buch, kein älterer Film dienten als Vorlage. »Inception« entsprang in all seiner grandiosen Komplexität dem Autor selbst. Erst danach ging es an die Umsetzung, die zwar von einzigartigen Effekten umrahmt, jedoch niemals angetrieben wird. Da wundert es kaum, dass Nolan von einer 3D-Konvertierung absah, die seinem Drama - was »Inception« im Kern ist - keinerlei Nutzen beschert hätte.
Grund 3:
Kino als mentale Herausforderung zu begreifen und zu erleben, statt „nur“ zu unterhalten, ist sicherlich nicht jedermanns Sache. Nur kann die Optik von »Avatar« mühelos kopiert werden, während ein Duplizieren des inhaltlichen Labyrinths von »Inception« wohl kaum gelingen wird. Das weiß auch Cameron, der bereits fleißig an den Effekten für zwei Fortsetzungen bastelt. Danach erst will er sich dem Drehbuchschreiben widmen. Vielleicht hofft er ja aber auch, bis dahin in das Unterbewusstsein von Nolan vordringen zu können. Denn dort schlummern ganz sicher noch einige bemerkenswerte Filmideen, die so einmalig sind wie diese. Und die brauchte Cameron selten dringender.
Csaba Lázár

Kontra
Für den Briten Christopher Nolan ging es nach »Memento«, einem wirklich cool und formal aufregend inszenierten Film, rasant aufwärts. Bereits fünf Jahre später schaffte er es, mit »Batman Begins«, einen Logenplatz in Hollywood zu bekommen. Eine wirklich beeindruckende Karriere, der er mit »Inception« die Krone hätte aufsetzen können. Schade, und das gleich vorab, dass ihm das nicht gelungen ist.
Nolan entführt den Zuschauer auf eine Verfolgungsjagd in eine unglaublich anmutende Traumwelt. Traumjäger Dom Cobb (Leonardo DiCaprio) versucht, mittels gemeinsamer Träume Geheimnisse direkt aus den Köpfen zu entführen. Alles klar, es geht um große Dinge, potenziert um die unendlich scheinenden Möglichkeiten unserer Träume.
Erste Zweifel kommen allerdings nach dem einführenden Ritt durch zwei Schichten der Traumwelt der Teilnehmer. In der 60. Kinominute wird dann ein Jumbo in Australien bestiegen. Alle sechs Teilnehmer der Séance nehmen im Bug, in der Business Class Platz und es beginnt bereits das Finale, die rasante Jagd, einen Gedanken in den Kopf des bösen Leaders einzupflanzen.
Die Story ist zu aufgeräumt, die Eröffnungssequenz wird lediglich um zwei Stationen in Paris und Nairobi, wo zwei weitere Teilnehmer für den großen Coup eingesammelt werden, ergänzt, um anschließend sofort zum Finale zu schreiten. Es ergibt sich ein überschaubarer Plot für 140 Filmminuten. Da ist es nicht nur eine theoretische Gefahr, dass Zuschauer „aussteigen“. Da ist Nolan ganz nah bei James Cameron, dessen einfacher Plot aber zumindest als universelle Suche nach dem Guten verstanden wird.
Letztlich geht es aber in »Inception« um nichts weiter, als dass ein guter Industrieller - warum muss der eigentlich Japaner sein? - einem amerikanischen Magnaten, der nach dem Tod seines Vaters die Führung des Trusts übernimmt, im Interesse eines ethischen Kapitalismus oder des Weltfriedens - warum wird diese Frage nicht thematisiert? - die Idee einpflanzen will, dass er den Trust zerschlagen muss. Noch Fragen?
Formal ist das beeindruckend umgesetzt. Doch bitte nicht als revolutionär und „Spagat zwischen Kunst- und Kommerzkino“ lobpreisen. Ein Vergleich mit Klassikern wie »Alien« oder »Matrix« zeigt dies. »Inception« ist zweifellos gutes Actionkino, aber auch nicht mehr oder weniger.
Denn die inhaltlichen Schwächen sind offensichtlich. Da wäre die simple Handlung mit fraglichen Motivationen, die undifferenziert gezeichneten Charaktere und die fehlende Tiefe (die nun wirklich nicht durch die ständig auftauchende, traumatisierte und verdrängte Ehefrau Cobbs ersetzt werden kann). Und was bitte sollen die einem Computerspiel entnommen scheinenden stundenlangen nervenden Schießereien?
Natürlich geht es auch um unser Bewusstsein und Erweiterung, Unbewusstes und Verdrängung. Sorry, aber letztlich ist das nur Pseudo-BlaBla, aufgesetzter intellektueller Wackelpudding auf die dünne Actionstory und den ständig mit Leidensmine daherkommenden DiCaprio.
Mersaw
Csaba