Der fremde Sohn

Drama/Thriller, USA 2008, 140 min

Wenn das Schlimmste geschieht, das sich eine Mutter vorstellen kann, wenn ihr einziges Kind spurlos verschwindet, dann wird sie vielleicht zur Furie. Sie setzt womöglich Himmel und Erde in Bewegung, dreht jeden Stein um, rennt sämtliche Türen der Polizeibehörde ein, die sich immer wieder beschwichtigend vor ihr zu schließen drohen. Sie nimmt jede nur erdenkliche Hilfe an, isst und schläft nicht mehr, verliert die Nerven und ist verzweifelt. Eine grausame Vorstellung, fürwahr, doch für Christine Collins, die allein stehende Mutter des neunjährigen Walter, kommt es viel, viel schlimmer. Im Sommer 1928 macht sie eben Beschriebenes durch. Als die Polizeibehörde von Los Angeles ihr dann nach fünf endlosen Monaten des Bangens unter großem Presserummel den wiedergefundenen Jungen präsentiert, ist das Erste, was die in Tränen aufgelöste Mutter herausbringt: „Er ist nicht mein Sohn!“
In den noch verbleibenden zwei Stunden Film wird Angela Jolie diesen Satz hunderte Male wiederholen, herbeten oder schreien. Immer hoffend, das Rätsel möge sich auflösen, schlimmer noch, unentwegt flehend, ihr eigenes Kind möge endlich gefunden werden. Aber sie findet kein Gehör. Niemand glaubt der verzweifelten Frau, am allerwenigsten die Polizei. Schließlich haben sie ja Christines Sohn wiedergefunden. Wozu also noch weitersuchen. Auch die Tatsache, dass ihr neuer Sohn kleiner und beschnitten ist, versuchen die Beamten vom Tisch zu wischen. Einzig Reverend Briegleb steht der fassungslosen Mutter bei, soweit es sein Amt zulässt. Aber auch er kann nicht verhindern, dass die Frau, als sogar Walters Zahnarzt und sein Lehrer ihr beizupflichten versuchen, in einer psychiatrischen Anstalt landet. Die kafkaesk anmutende Ausweglosigkeit der Situation löst sich für Christine Collins erst auf, als der berüchtigte Kinderschänder Gordon Northcott gefasst wird, der Anfang der dreißiger Jahre zwei Dutzend Kinder misshandelt und ermordet hat. Aber eine wirklich gute Nachricht ist das für Walters Mutter nach fast sieben Jahren der Ungewissheit nicht.
W. Larsen