Happiness

Drama/Komödie, USA 1998, 139 min

Willkommen im realen Tollhaus! Dass einer der besten Filme des letzten Jahres Universal veranlaßte, seinem Indie-Arm ‘October’ die Veröffentlichung zu untersagen, liegt wohl nicht an der schmerzhaften Offenheit, mit der Solondz alles zertrümmert, was dem Mittelstand heilig ist, sondern das ihm nicht geglaubt wurde, die Gratwanderung zwischen blankem Entsetzen und befreiendem Lachen bewältigt zu haben, und dass es ihm selbst in den kränksten Figuren gelingt, einen Blick in seelische Abgründe der Menschen zu finden.
Happiness ist kein glücklicher Film. Es ist ein Film über einsame und verzweifelte Menschen. Sie sind alle auf der Suche nach einem Aus-, oder Fluchtweg im Leben, nach Liebe, nach Glück. Viele ihrer Handlungen sind unaktzeptabel: Mit einer Distanz, ohne die der Film wahrscheinlich nicht in die Kinos gekommen wäre, zeigt Solondz eine Welt, in der auch ein Päderast, der zehnjährige unter Drogen setzt und vergewaltigt, ein obszöner Anrufer, der Frauen terrorisiert und dazu masturbiert, oder eine Mörderin die ihre Opfer in Stücke hackt und in kleine Plastiktüten verpackt, funktionierende Mitglieder dieser Gesellschaft sind, in der alles erlaubt ist, solange der Schein der Normalität gewahrt wird. Weder entschuldigt noch goutiert Solondz ihre Handlungen, aber er dämonisiert seine Figuren auch nicht und zwingt seinen Zuschauer so zur Auseinandersetzung mit den Menschen die hinter Taten stehen, die sonst in der Boulevardpresse für Schlagzeilen sorgen, täglich. Es gelingt dem Filmemacher in langen, irgendwo zwischen Altman und Lynch angesiedelten Szenen, Tragik und Komödie auszubalancieren, erschütternde Segmente humorvoll aufzulösen und umgekehrt leichte Momente unvermittelt in puren Horror umkippen zu lassen.
In diesem Wechselbad folgt Happiness drei Schwestern, ihren gegenwärtigen oder zukünftigen Partnern und ihren vor der Trennung stehenden Eltern. Während der jüngsten Schwester , die in ihrer Welt nach Strich und Faden ausgenutzt wird und sich dennoch nie unterkriegen lässt, bei ihren erniedrigenden Erlebnissen mit ihren Schwestern, einem beleidigten Verehrer und einem russischen Taxifahrer, die meisten Sympathien gehören, drängt sich die Geschichte des Päderasten, schon aufgrund ihres Inhalts in das Zentrum der Geschichte. Auch, weil der Psychator Dr. Maplewood mit seiner Traumfamilie auf den ersten Blick wie die perfekteste Figur in Happiness erscheint, wenn er seine stetig kochende oder putzende Frau herzt oder seinem Sohn geduldig Nachhilfe bei drängenden Pubertätsproblemen gibt. Mit apokalyptischen Gewaltfantasien oder der Masturbation zu Teenie-heftchen offenbart sich der Mann aber schnell als Opfer unkontrollierbarer und unverzeihbarer Obsessionen.
Schonungslose Szenen werden von einem soften 70erJahre Soundtrack ironisch kommentiert. Unklar ist, kolportiert der Film gewöhnliche Gewalt, oder begreift er sie. Happiness setzt sich jedenfalls über die Heiligkeit des good clean life hinweg und zeigt auf der Rückseite der Fassade Verzweiflung und Einsamkeit und jenen winzigen Funken Hoffnung, der das Betrachten dieses meisterhaften Rundumschlags letztendlich erträglich macht.

Regie: Todd Solondz

Darsteller: Jane Adams, Dylan Baker, Lara Flynn Boyle, Ben Gazara, Jared Harris, Philip Seymour Hoffman

Bundesstart: 18.03.1999

Start in Dresden: 18.03.1999