Eine Dame in Paris

Drama, Estland/Frankreich/Belgien 2012, 95 min

Eine Dame zieht sich beim Betreten einer Wohnung doch nicht die Schuhe aus! Doch Anne (Laine Mägi) ist keine Dame, sondern eine provinzielle Estin, die bei einer gut situierten alten Dame in Paris als Haushälterin beginnt. Anne hat mal Französisch studiert, kam aber bisher nie nach Frankreich. Sie heiratete im dunklen, schneereichen Estland, bekam Kinder und pflegte ihre demente Mutter bis zu deren Tod. Dann kommt das Angebot, die vor vielen Jahren nach Paris ausgewanderte Estin Frida zu pflegen.
Und hier kommt die Dame, die große Dame des französischen Kinos: Frida wird von niemand geringerem gespielt als von Jeanne Moreau. Sie - inzwischen 85 Jahre alt - hat mit Antonioni, Truffaut, Ozon, Fassbinder und unzähligen weiteren Größen der Filmgeschichte gedreht. In diesem vergleichsweise kleinen Film des estnischen Regisseurs Ilmar Raag (»Klass«) gibt sie eine recht kratzbürstige Alte mit bewegter Vergangenheit. Als Anne sagt, sie könne mit keinem Mann schlafen, den sie nicht liebe, lacht Frida herzlich über so eine Einstellung. Fridas Tage bestehen inzwischen nur noch aus Tee und Croissants, und wenn Anne das Gebäck aus dem Supermarkt anstatt frisch vom Bäcker holt, ist Frida mächtig böse und gießt vor Annes Augen den Tee auf den Fußboden. Ganz zugänglich wird sie hingegen in Anwesenheit des viel jüngeren Stéphanes, ihres früheren Liebhabers. Er hat Anne eingestellt und besucht Frida gelegentlich. Ihr zu Ende gehendes Leben bereitet ihm große Probleme.
Altern, Einsamkeit und sich verändernde Beziehungen - darum geht es in diesem sehr leisen Film. Laine Mägi als Anne erinnert ein bisschen an Kati Outinen, die Stammschauspielerin von Aki Kaurismäki, wie sie scheu Paris erkundet, geduldig die Demütigungen Fridas erträgt und sich schließlich dagegen zur Wehr setzt. Denn: „Einsam zu sein, gibt Ihnen nicht das Recht, grausam zu sein!“ Da will sie aber eigentlich schon abreisen und Paris den Rücken kehren, obwohl sie sich auf ihre eigene, stille Art die Stadt und ihren Glanz angeeignet hat. Ihr kleiner Aufstand führt zu einer Art Happy End - einer engeren Bindung des ungleichen Trios. Und macht froh und traurig zugleich.
Petra Wille