Ein Schweigen

Wenn die Mutter weinend aus dem Schlaf erwacht, wenn die Tochter sich selbst wie auch das Enkelkind von ihren Eltern fern hält und wenn der Sohn droht von der Schule zu fliegen, weil ihm längst alles egal ist, dann scheint es höchste Zeit zu sein, sich ehrlich zu machen. Zeit, ein Schweigen zu beenden. Ein Schweigen, welches bereits das Leben mehrerer Menschen verdorben hat. Welches beinahe auch das Leben eines Menschen ganz und gar ausgelöscht hätte. Um genau zu sein, es war nicht nur ein Schweigen. Das Unvermögen zu sprechen zieht sich hier durch die ganze Familie Schaar. Deren Familienoberhaupt Maitre François Schaar (Daniel Auteuil) tritt ungefähr in der Mitte des Filmes vor sein Anwesen, welches Tag und Nacht belagert ist von einer Gruppe Journalistinnen, und erklärt, sich nicht mehr länger in der Lage zu sehen, in einem nunmehr 5 Jahre andauernden Gerichtsverfahren die Eltern zweier getöteter Kinder vertreten zu können. Der belgische Regisseur Joachim Lafosse nimmt sich hier die Freiheit, uns die Geschichte des Lütticher Rechtsanwalts Victor Hissel und dessen Verstrickungen in die Mord- und Pädophiliefälle um Marc Dutroux ganz fiktiv nachzuerzählen.
Madame Astrid Schaar (Emmanuelle Devos), die während der nächtlichen Presse-Ansprache ihres Mannes schweigend umzieht auf das Sofa, könnte jederzeit bemängeln, dass ihr Ehemann als Anwalt in diesem Verfahren befangen sei, ja geradezu ungeeignet. Doch ihre jahrzehntelang aufgetragene Firniss zeigt erst wenige brüchige Stellen. Einige rühren her von der Ankündigung ihrer Kinder Caroline und Pierre, ihren Vater François nun endlich vor Gericht bringen zu wollen wegen unzähliger, lange zurückliegender Vergewaltigungen. Beschwerlich und behutsam deckt der Film auf, was viele Jahre verdrängt war. Und umkreist eine Mutter, die hilflos in Schmerz und Scham gefangen ist, und die nun zusehen muss, wie das fragile Lügengebilde hinter der bürgerlichen Fassade zusammenfällt. Die Farbe der Lüge ist hier keinesfalls blau wie bei Chabrol, es ist eher eine triste, verwaschene Mischung aus grau und grün, so als fände das ganze Leben der Schaars hinter zugezogenen Gardinen statt.
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