12. November 2020

Aus der Büro-Verpuppung flattert ein knallig leuchtender Hijab-Schmetterling

»Eine Frau mit berauschenden Talenten« ist ein Heidenvergnügen, Kritik, Pro & Contra
Aus der Büro-Verpuppung flattert ein knallig leuchtender Hijab-Schmetterling

Pro

Was für ein Name und was für ein Job: Patience Portefeux (Isabelle Huppert) übersetzt für

die Drogenermittler der Pariser Polizei die abgehörten Telefonate marokkanischer Haschhändler. Der Dauerstress bei der Polizei, die Live-Verhöre und das nicht unüble, aber einfach nie die Kosten deckende Gehalt lassen Madame Portefeux schmallippig aussehen. Die Kosten für das sündteure Pflegeheim samt der liebevollen marokkanischen Pflegerin ihrer Mutter erdrücken sie, es sammeln sich Schulden in Größenordnungen an, schon droht die Kündigung für die im Sterben liegende Mutter.

Als Patience auf der Arbeit beim Abhören eines Telefonats spitzkriegt, dass der Sohn der Pflegerin ihrer Mutter überwacht wird, reagiert sie blitzschnell und sorgt dafür, dass der Junge mit einem blauen Auge davon kommt, weil er die Drogen nicht ausliefert, sondern versteckt, sie gibt ihm eine minutiöse Anleitung. Die Dolmetscherin, dank ihres Jobs bestens mit der Dealer-Materie vertraut, mobilisiert ihre kriminelle Energie, stellt die formidable Menge Hasch sicher, staffiert sich als glanzvolle Araberin aus und bringt den Stoff unter die Leute. Sie wird „La Daronne“ („Die Alte“), so der Originaltitel dieser smarten französischen Komödie.

Es ist ein Heidenvergnügen, Isabelle Hupperts Patience beim Aufblühen zuzuschauen. Die Körperhaltung der resignierten Frau strafft sich, aus der fast unsichtbaren schmalen Büro-Verpuppung flattert ein knallig leuchtender Hijab-Schmetterling mit großzügiger Silhouette.

Diese Divenoptik in Verbindung mit starken Nerven sorgt für einen guten Start ins Doppelleben. Der entscheidende Punkt ist aber eine spezielle Form von Frauensolidarität als haltgebendes System hinter all dem Einzelkämpferinnentum. Neben der marokkanischen Pflegerin ist es die knallharte, sich perfekt aufs Geschäfte machen verstehende chinesische Hausverwalterin von Patiences Wohnblock, die zur Geschäftspartnerin wird und Hilfestellung gibt. Schulterschluss der einsamen Wölfinnen in mittleren Jahren. Da kommt auch der in die Dolmetscherin verliebte Hauptkommissar nicht dazwischen, glanzlos und zu bürokratisch dem Gesetz verpflichtet, wie er ist. Die Logik von Patience würde er nicht verstehen: Kriminell werden als Notwehr, weil Pflege für die Mutter so teuer ist.

Regisseur Jean-Paul Salomé zeigt nicht nur den Spaß an der gelingenden Gangsterei, die vergleichsweise harmlos bleibt, weil nicht mit harten Drogen gedealt wird. Er flicht leichthin gesellschaftskritische Töne ein. Wer verdient denn am Plastik-Dino, den Patience für den Sohn ihres Polizistenfreundes in einem Museumsshop klaut? Sicher nicht die Kinder, die ihn hergestellt haben. Und Salomé präsentiert stilsicher die Mittel französischer Unterhaltungsfilme: Konsequenter Focus auf die Hauptfigur, in diesem Fall also die grandiose One-Woman-Show Isabelle Hupperts, großer Spaß an gut abgeschmeckter Überzeichnung (die doofen Haschischhändler sind ein bisschen zu doof, die bösen Gangster haben sehr dicke Arme und tragen sehr, sehr schwarze Klamotten) und hauchfeine, aber treffsichere Gesellschaftskritik. Feine Klamotten, gutes Ende und Savoir-vivre. Wissen, wie man lebt – das hat Patience schon als Kind gelernt, und sie weiß ihre Chance zu nutzen. So ist diese hübsche Story nicht nur eine leichtfüßige Gaunerkomödie sondern auch die Selbstermächtigungsgeschichte einer Frau.

Grit Dora


Semi Contra

Isabelle Huppert mit Hippolyte Girardot in einer verkappten Krimi- und Liebesgeschichte mit der Pflanze. Kann das gut gehen? Kann schon. Freunde der kultivierten und in den letzten Jahren so erfolgreichen französischen Komödie werden vermutlich nicht ganz so gut unterhalten sein, auch die des radikalen künstlerischen Films werden wohl nicht so amüsiert sein. 

Regisseur Jean-Paul Salomé gelingt das Kunststück, aus einem etwas klischeebehafteten Plot eine sehr vergnügliche und dabei tiefsinnige Komödie zu inszenieren. Er vertraut nicht auf vordergründige Gags oder die Zurschaustellung seiner Protagonisten, sondern eher auf beste cinematographische Tugenden, eine geradlinige, humorvoll erzählte Geschichte, großartige Darsteller, eine vorbildliche Kameraarbeit und einen erstaunlich modernen und abgefahrenen Soundtrack. Voila, fertig ist eine bestens unterhaltende Komödie, die fein dosiert Kritik an aktuellen Zuständen, dazu intelligente Lebensweisheiten liefert und nebenbei ganz fein interkulturelle Missverständnisse verhandelt. 

Da bleibt eigentlich nicht viel zu nörgeln. Inhaltlich kommt manches etwas brav daher, werden die möglichen Verstrickungen im Drogengeschäft etwas zu nett geschildert und wird eben nicht der Originaltitel "La daronne" - "Die Alte" - verwendet, der so herrlich griffig aber unprätentiös daher kommt. Weder wird ordentlich gekifft, noch ein knallharter Krimiplot erzählt. Eher dominieren die beiläufigen Andeutungen, hier ein Traffic-Plakat – wir erinnern uns, Michael Douglas und Benicio Del Toro als desillusionierte und knallharte Cops jagen mexikanische Kartelle – im Büro der eher normalstbürgerlichen Flics, da die unerwartet vielschichtige chinesische Hausverwalterin, kurze lakonische Anmerkungen zur Verwahrung alter Menschen und der Doppelmoral der Drogenpolitik. Beiläufig eher auch, dass die Mutter von Patience mit ihr jiddisch spricht. Sie, die Tochter eines Marokkaners und einer Überlebenden deutscher KZ’s, ist kulturell verwurzelt irgendwo zischen Gomel, Paris und Marrakesch. Auch so wird über die klassischen Klischees hinweg von der Vielfalt und Verwicklungen nicht nur des postkolonialen frankophilen Raums erzählt, entsteht eine im besten Sinne vielfältige und liberale Komödie. Und allein das ist schon viel wert in dieser verrückten Zeit.

Mersaw

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