2. Dezember 2011

Keiner wie Heiner

Einer, der zeitlebens wie ein offenes Rasiermesser durch die Gegend lief
Keiner wie Heiner
Thomas Brasch war ein Typ, der keiner Konfrontation und keiner Angst aus dem Weg ging. Einer, der zeitlebens wie ein offenes Rasiermesser durch die Gegend lief. Eigentlich der ideale Kandidat für den Büchner-Preis, den er nie bekam, dafür aber viele andere Auszeichnungen. Tony Curtis, den Brasch Ende der 1980er für seinen Film „Der Passagier“ gewinnen konnte, schätzte seine „Respektlosigkeit“: Der Autor und Filmemacher jüdischer Herkunft, Sohn eines stellvertretenden Kulturministers der DDR, erfuhr die Widersprüche seiner Zeit am eigenen Leib. Der Vater liefert ihn der Polizei aus, als er 1968 gegen den Einmarsch des Warschauer Paktes in Prag protestiert.

Sein erster Prosa-Band „Vor den Vätern sterben die Söhne“ konnte nur im Westen erscheinen. 1976 ging er selbst nach Westberlin. Heimisch wurde er nirgendwo, wollte es wohl auch nicht. Er ließ sich nicht zum Dissidenten stilisieren, ließ sich ums Verrecken nicht vereinnahmen und kackte dem Kulturbetrieb mit der Eleganz eines Popstars vor den Koffer. 1981 erhielt er für seinen Film „Engel aus Eisen“ den Bayrischen Filmpreis. Die Verleihung ist Legende. Auf der aufgerüschten Bühne des Münchner Cuvillies-Theater erklärt Brasch, dass er den Preis aus den Händen des politischen Gegners nur annimmt, um seinen nächsten Film finanzieren zu können und dankt der Filmhochschule der DDR für seine Ausbildung. Buhrufe im Saal und ein sich zusehends verfärbender Franz Josef Strauß, der aber geschickt die Kurve kriegt und Brasch in einem abschließenden Satz zum Demonstrationsobjekt der Liberalitas Bavariae und damit zum Clown macht. Trotzdem war die Bayrische Regierung im Nachhinein so sauer, dass sie den Künstler aufforderte, sein Hotel selber zu zahlen. Vielleicht hat Brasch als Antwort auf den Hotelteppich gepinkelt, es wäre ihm zuzutrauen gewesen.

Thomas Brasch sah besser aus als Heiner Müller, er war ein ebenso charismatischer Typ, aber vielseitiger und vor allem kompromissloser. Während sich Müller nach 1989 als Stilikone inszenierte und den Medien an die Brust warf, ging Thomas Brasch in seiner Wohnung am Schiffbauerdamm auf Tauchstation. Er, der auf einen dritten Weg gehofft hatte, nur dass er das viel differenzierter ausdrückte – hielt sich mit Drogen die Welt vom Leib und verschanzte sich hinter den zig Tausend Manuskriptseiten eines neuen Romans. Auf Außenstehende muss er wie ein Irrer gewirkt haben, der die Kamera mit Vorliebe auf sich selbst hielt. Was wollte er festhalten? Christoph Rüter, der jetzt die Doku „Brasch – Das Wünschen und das Fürchten“ in die Kinos gebracht hat, begleitete ihn über viele Jahre. Er zeigt Brasch beim Abrutschen in den Drogen- und Alkoholnebel und wie er sich kurz vor seinem Tod da wieder heraus stemmt. Die Szenen aus seinem Privatleben belegen auch Braschs allerdings völlig attitüdenfreie Selbstgefälligkeit und Sentimentalität. Er war, wie er war und niemals Kunstfigur.

Ein schwieriger Typ, der es auch denen schwer machte, die ihn liebten. Es ist ziemlich unbequem, ihn scheitern zu sehen. Rüter macht deutlich, dass Brasch, der 1945 Geborene, auch an Deutschland zerbrochen ist, an den Folgen des Faschismus. Ein Opfer war er nicht, wollte es nie sein, auch das zeigt Christoph Rüter. „Brasch“ ist nicht nur die Story eines Outlaws und ein zeitgeschichtlich interessantes Dokument. Der Film macht klar, wie die Reibung zwischen Künstlern und Gesellschaft in den vergangenen zwanzig Jahren komplett flöten gegangen ist. So vollständig, dass das keiner mehr mitkriegt. Heute wird nur noch umarmt.
Grit Dora