Vom deutschen KZ bis Tito und Geschlechterrollen – Europäische Geschichte im Fokus
Der Vergabeausschuss der Mitteldeutschen Medienförderung GmbH (MDM) hat in seiner dritten Sitzung 2024 am 4. Dezember Fördermittel in Höhe von 3.953.000,00 Euro für insgesamt 34 Projekte vergeben.
Josep Broz »Tito« war Widerstandskämpfer, kultisch verehrter Landesvater, brutaler Unterdrücker und Lebemann gleichermaßen. Als Regierungschef und ab 1953 als Staatspräsident stand er an der Spitze der Volksrepublik Jugoslawien, sein Tod 1980 führte zum allmählichen Zerfall des sozialistischen Vielvölkerstaates. In »Tito – Der Lieblingsdiktator der Welt« beleuchtet Sasha Djurkovicdas Leben eines der schillerndsten und umstrittensten Politiker des 20. Jahrhunderts (LOOKS Film & TV Produktionen, 300.000 Euro).
Von Solidarität unter Frauen inmitten der Hölle eines KZ erzählt das episodische Drama »Each of us«, das von vier europäischen Regisseurinnen – Neus Ballús (Spanien), Anne Zohra Berrached (Deutschland), Anna Jadowska (Polen) und Stina Werenfels(Schweiz) – gemeinsam umgesetzt wird. Sie schildern die auf wahren Begebenheiten basierenden Schicksale von vier Frauen, die kurz vor dem Ende des Zweiten Weltkrieges im Konzentrationslager Ravensbrück um ihr Überleben kämpfen (Bon Voyage Films, 230.000 Euro).
Ende 2023 begann Thomas Heise (»Heimat ist ein Raum aus Zeit«, 2019, Foto) die Arbeit an seinem letzten Dokumentarfilm, der nach dem Tod des vielfach preisgekrönten Regisseurs im Mai 2024 von seinem langjährigen Kameramann Peter Badel fertiggestellt wird. Gesellschaftliche und historische Ereignisse verbinden sich in »Übergang« mit Heises eigener Biografie – beispielsweise mit der Liebesgeschichte zwischen ihm und seinem Ehemann Michael Saringan. Zentraler Schauplatz des Films ist der Bahnhof Schönhauser Allee in Berlin, seit Jahrzehnten ein wichtiger Verkehrsknotenpunkt der Stadt, in dessen unmittelbarer Nähe Heise bis zuletzt lebte (Ma.ja.de. Filmproduktion, 40.000 Euro).
580.000 Euro Produktionsförderung gehen an die Erfurter Traumhaus Studios für die internationale Koproduktion »Bottanix«. Im Zentrum stehen die zwölfjährige Daphne und ihr kleiner Bruder Merlin, die zusammen mit ihren Eltern aufs Land reisen, um den 100. Geburtstag von Urgroßmutter Greta zu feiern. Die verdankt ihre eiserne Gesundheit magischen Wesen, die über Spiegel in ihrem Haus in die Welt der Menschen gelangen. Mit Hilfe der Bottanix wollen Daphne und Merlin nicht nur den Zwist zwischen Greta und ihrer Mutter beenden, sondern auch die Geburtstagsfeier retten, die von einem Gauner-Pärchen bedroht wird. Regie bei dem Projekt führt der Kanadier Benoît Godbout (»Das große Schlittenrennen«).
In seinem zweiten Spielfilm »Das Muschelessen« inszeniert der Weimarer Regisseur Michael Venus (»Schlaf«) mit Co-Autorin Gro Swantje Kohlhof frei nach Motiven der gleichnamigen Erzählung von Birgit Vanderbeke einen psychologischen Thriller rund um ein alles andere als harmonisches Familienessen einer Mutter (in ungewohnter Rolle verkörpert von Anke Engelke) und ihrer zwei Kinder in panischer Erwartung des tyrannischen Patriarchen. Das Projekt der ostlicht filmproduktion wurde bereits im Stadium der Projektentwicklung gefördert und erhält nun 500.000 Euro Produktionsförderung.
Der Kinderfilm »Hey, ich bin der kleine Tod!« setzt sich auf gefühlvolle und zugleich unterhaltsame Weise mit den Themen Tod und kindlichen Ängsten auseinander. Der elfjährige Samuel ist schwer krank und verlässt nie das Haus. Das ändert sich, als er eines Tages Besuch vom kleinen Tod in Gestalt der gleichaltrigen Frida bekommt. Mit seiner Hilfe lernt sie das Leben kennen. Das Drehbuch verfasste die Dresdner Autorin Anne Gröger nach ihrem eigenen Roman. Die Regie übernimmt Katja Benrath (Mideu Films, 400.000 €).
Die deutsch-argentinische Filmemacherin Sophia Mocorrea erzählt mit dem Sozialdrama »Brautraub« die Geschichte eines Paares im Spannungsfeld von familiären Erwartungen, Intimität und Geschlechterrollen. Die Entscheidung zu heiraten wird zu einer bitteren Prüfung für eine scheinbar gleichberechtigte Beziehung. Die deutsche Tradition der Brautentführung stellt die Welt von Luisa und Fred dann endgültig auf den Kopf (Niko Film, 300.000 Euro).
Im Rahmen des MDM-Pilotprogramms realisiert die sächsische Künstlerin und Filmemacherin Anita Müller ihr halbstündiges Animadok-Projekt »Heimatfilm«, mit dem sie 2021 den Pitching-Preis beim MDM Nachwuchstag KONTAKT gewonnen hatte. Anhand von Familienerinnerungen widmet sie sich darin sieben Jahrzehnten deutscher Zeitgeschichte: Ein Besuch bei ihren Angehörigen offenbart bisher unausgesprochene Konflikte – sei es mit dem aus dem Krieg heimgekehrten Vater, mit der begrenzten Freiheit im Osten Deutschlands oder den Veränderungen der Nachwendezeit (Balance Film, 135.000 Euro).
Um das Entdecken des eigenen Körpers geht es im Animationskurzfilm »Das lustige Gewitter«, den Nina Hoffmann 2024 beim MDM Nachwuchstag KONTAKT vorstellte. Die sechsjährige Tomato, die bei ihrer streng religiösen Tante Bibelbärbel aufwächst, erlebt eines Tages durch Zufall ihren ersten Orgasmus. Ohne zu wissen, was dieses kribbelnde, tolle Gefühl ist, das sie wie ein Blitz durchschießt, tauft sie es auf den Namen »das lustige Gewitter«. Ihre Geschichte setzt die Dresdner Filmemacherin und Produzentin mit verschiedenen Animationstechniken wie Puppentrick, Legetrick und Scherenschnitt um (Nina Hoffmann, 50.000 Euro).
Produktionsförderung in Höhe von 40.000 Euro erhält Studio Animauz Weber & Walde für das Projekt »Flexi«. Der animierte Kurzfilm setzt sich auf spielerische Art und Weise mit dem Thema Identität auseinander und ist ein Plädoyer für die Vielfalt. Dem Wurm Flexi ist furchtbar langweilig, bis er eines Tages entdeckt, dass er mit seinem flexiblen Wurmkörper überall dazugehören kann. Gleichzeitig muss er aber auch herausfinden, wer er selbst sein möchte und was ihm wichtig ist. Regie übernehmen Alma Weber und Lina Walde, die das Projekt beim MDM Nachwuchstag KONTAKT 2024 vorgestellt haben.