Letzte Vorstellung: Ernest Cole: Lost and Found
Eine Schwarz-Weiß-Fotografie ist nicht schwarz und weiß. Sie setzt sich zusammen aus unzähligen kleinen schwarzen Punkten, und deren Abstufungen. Nur die Leerstellen sind Weiß. Wollen wir das Bild verstehen, was wir betrachten, braucht es einen gewissen Abstand. Geschichte funktioniert ähnlich. Aus der Flut täglicher Ereignisse entsteht nach Jahren ein Muster. Vielleicht genügen 26 Jahre Abstand. Für ein sattes Grau. Es war vermutlich die Hasselblad Foundation, die 2016 aus einem schwedischen Banktresor den Nachlass freigab, welcher diesem Film zu Grunde liegt; Tagebücher, Bänder, Notizen und ca 60.000 Negative des südafrikanischen Fotografen Ernest Cole, der 1990 obdachlos in New York gestorben ist. Als der junge Cole 1966 aus Südafrika floh, mit seinem fertig konzipierten Bildband über die Apartheid im Kopf und den versteckten Negativen im Gepäck, suchte er nach Abstand. 26 Jahre wuchs er auf in Angst, in Elend und Ungerechtigkeiten, entdeckte beim Betrachten eines Fotobandes von Henri Cartier-Bresson seine Berufung, lernte das Dunkelkammerhandwerk, sammelte jeden einzelnen Tag Beweisfotos, dokumentierte heimlich das Leid in einem Land, wo das Beste, was er je erreichen konnte, war, ein Weißer 3. Klasse zu werden, der bei korrekter Religion & Bildung die Regularien seiner eigenen Unterdrückung zu akzeptieren lernt. Coles Bildband „House of Bondage“ (1967) über die erste Hälfte seines Lebens verschaffte ihm in seiner neuen Heimat USA ein paar Aufträge. Nur kurz verweilte sein Blick auf Oberflächen, bald regulierte er die Tiefenschärfe und entdeckte die Brüche sowie deren Ausmaß. Es ließ ihn erschauern. Auch hier leuchten die Augen der von ihm festgehaltenen Menschen, und zugleich klagen sie dieselben Misshandlungen an, dieselbe rassistische Unterdrückung und dieselbe Ignoranz. Daheim fürchtete er beim heimlichen Fotografieren ins Gefängnis zu kommen, hier fürchtet er beim offiziellen Arbeiten erschossen zu werden. Wofür er einst gefeiert wurde, dafür will ihn hier niemand bezahlen. Die Heimat wird er nie wiedersehen, mehr und mehr befällt ihn die Krankheit vieler Exilanten, Vereinsamung und Depression. Ernest Cole stirbt am 18.02.1990 in New York, eine Woche, nachdem Nelson Mandela in Kapstadt aus dem Gefängnis entlassen wurde. Coles Asche ruht in seiner Heimat, auf seinem Grabstein steht Fotograf.
Regisseur Raoul Peck gibt allen Nachgeborenen die Möglichkeit, vor diesem Fotografen inne zu halten.
alpa kino
Buch: Raoul Peck
Regie: Raoul Peck
Kamera: Wolfgang Held, Moses Tau
Sprecher: LaKeith Stanfield
Musik: Alexeï Aïgui
Produktion: Velvet Film, Arte France Cinéma
Bundesstart: 17.04.2025
Start in Dresden: 17.04.2025
FSK: ab 12 Jahren