2. April 2019

Sexismus mit Sexualität verwechselt?

Kritik – »Captain Marvel – Unsere Kolumne folgt diesmal nicht dem klassischen Pro und Contra Schema
Sexismus mit Sexualität verwechselt?

Sogar Superhelden mit Vagina gibt es in den heutigen unruhigen Zeiten. Auch wir müssen uns daher ändern. Unsere Kolumne folgt diesmal nicht dem klassischen Pro und Contra Schema, sondern schaut einmal aus weiblicher und einmal aus männlicher Sicht auf »Captain Marvel«. Wir sind gespannt.

weiblich 

Der erste Marvel Film mit einer Frau in der Hauptrolle. Endlich kein hübsches Beiwerk mehr sein, endlich auch mal im Mittelpunkt stehen, die witzigen Sachen sagen und die Bad guys verkloppen. Endlich, endlich, endlich. Schlimm genug, dass es erst 2019 werden musste, bis eine Frau an die Marvel-Macht kommen durfte. Aber nun ist sie da, die neue Vorbildfigur für unendlich viele kleine Mädels und Jungs. 

Der Hype war real. Aber wird der Film auch dem Hype gerecht? Ja, wird er, zumindest in den offensichtlichen Punkten. Female Empowerment, Gleichberechtigung, kickass Frauen. Filmisch ist »Captain Marvel« eher so ein mittelmäßiger Film. Es gibt keine epischen Szenen, bei denen einem der Mund offen stehen bleibt oder man aus dem Staunen nicht mehr heraus kommt. Obwohl die Story nicht wirklich dem typischen Marvel-Schema F entspricht, sondern etwas verwirrend daher kommt, hat sie dennoch keinen so richtigen Höhepunkt, dafür aber einige tolle Momente. Der Gänsehaut-Moment schlechthin ist natürlich der, der auch im Trailer schon vorkommt: Carol steht immer wieder auf und zeigt Durchhaltevermögen. Obwohl ich das schon kannte, hat es mich im Film dennoch geflasht, ein wirklich grandioser Moment. Für alle Frauen. Ich möchte nicht Spoilern und Plottwists wiedergeben, aber die Message find ich super: Lass dir von niemandem, erst recht nicht von einem Mann, sagen, dass deine Emotionen nur im Weg sind. Emotionen mögen eine Schwäche sein, aber sie sind auch das, was uns stark macht. (Und mit „uns“ meine ich nicht nur Frauen). 

 

Wer sich nicht mit Captain Marvel auskennt, dürfte etwas überfordert sein mit diesem Film. Selbst, wer zwar alle Marvel Filme kennt, aber eben keine Ahnung von Skrull und Kree hat, muss schon ziemlich aufpassen. Wer ist jetzt wer und wieso sind sie Feinde und wer hat was gemacht? Das bleibt vor allem zu Beginn schon arg auf der Strecke. Obwohl es auch etwas erfrischend ist, nicht die typische Exposition zu bekommen, aber ein paar mehr Infos hätten sicher nicht geschadet. Vielleicht finden deshalb viele den Film nur mäßig ok. 

 

Ich mochte es dennoch, die bekannten (sehr glatt gebügelten, jungen) Gesichter von Fury und Coulson zu sehen, aber Frau fragt sich dann schon, wie die Timeline aussieht. Vor allem, weil noch andere Figuren auftauchen, die man schon aus anderen MCU Filmen kennt. Auf den ersten Blick ist alles sehr verworren. Und das für mich, wo ich doch ein MCU Fangirl bin. 

 

Ein großes Plus ist, wie auch schon in den guten Disney-Klassikern »Frozen« und »Vaiana«, dass es keine Liebesgeschichte gibt. Kein Marvel-Origin-Film ohne *significant other*. Aber Carol Danvers darf ganz sie selbst sein, sich selbst finden und neu erfinden, ohne dass sie es aus der Motivation Liebe tut. Ihr glaubt gar nicht, wie erfrischend so etwas ist. Als Frau wird dir in fast jedem Medium immer eingetrichtert, dass dein Lebensziel es sein muss, die große und wahre Liebe zu finden, und dass du erst dann all deine Ziele und Träume erreichen kannst. Ohne Partner bist du nicht vollständig. Und jetzt eine MCU-Heldin zu haben, die das sehr wohl sehr gut kann, ist Balsam für die Seele. 

 

»Captain Marvel« ist ein solider Film, der, vor allem als Frau, richtig Spaß macht. Filmisch hängt er hinter »Thor: Ragnarok« definitiv hinterher, aber ich würde ihn in meine Top 5 aufnehmen. Ich hoffe, dass Marvel weiterhin auch starke Frauen als Heldinnen zeigt, wir brauchen mehr Shuri, Okoye, Carol und Natasha!

 

männlich

Der erste Marvel Film mit einer Frau in der Hauptrolle. Toll. Aber zu spät: DC‘s »Wonder Woman« hat den ganzen Hype um Superhelden mit Vagina schon abgegrast. Was schade ist, da der Film ja unheimlich belanglos und kaum wirklich feministisch war. So wie heutzutage Sexismus mit Sexualität verwechselt oder gleichgesetzt wird, ist auch die bloße Anwesenheit einer Frau noch kein Feminismus. Doch auch bei Marvel hatte man wohl keine Lust auf ein spannendes Drehbuch für Brie Larson als Captain Marvel. Dabei waren die Drehbuchschreibenden* oder Drehbuchgeschriebenhabenden doch auch überwiegend Frauen! Na ja, immerhin gibt es eine niedliche, außerirdische Katze im Film! Eines unterscheidet Frau Marvel aber von Frau Wonder noch ganz gewaltig – der Mann an ihrer Seite. Während man bei DC eine biedere Lovestory für Zehnjährige daherkrampfte, ist der heimliche Star im aktuellen Film: der jüngere, zweiäugige Nick Fury. Offenbar schon in den 1990er Jahren ein cooler Typ, der es gar nicht nötig hat, sich an zarte, Energiewellen schießende Mädels ranzumachen. Wie in den klassischen Buddy Movies jener Zeit (»Lethal Weapon«, »Rush Hour«, »Kommissar Rex«) findet sich hier ein Duo, das sich erst kennen lernen muss, Abenteuer besteht und dann, als Freunde, über das Böse triumphiert. Und im Jahr 2019 ist es nun endlich kein Psychopath, Chinese oder Hund an der Seite des Polizisten, sondern eine Frau! Und wenn man den Gerüchten im Marvel Universum glauben soll, wird sie im großen Endkampf gegen Thanos eine entscheidende Rolle spielen. 

Ob es nun einen ganzen Film gebraucht hat, ihre Figur vorzustellen, ist allerdings fraglich, denn nichts wird wirklich zum Marvel Universum beigetragen. »Black Panther« hatte sein Wakanda und das ominöse, in den Filmen oft erwähnte Vibranium und Captain America zeigte uns Hydra und einen mächtigen Tesseract. »Captain Marvel« präsentiert uns hingegen nur eine ganz amüsante und bisweilen witzige Reise in die 90er, überauffällig mit der entsprechenden Musik untermalt. Dazu Außerirdische, die bislang kaum Erwähnung fanden und am Ende eine Superman ähnliche, supermächtige Heldin, die mit leuchtenden Augen und einem feschen Bürstenschweif auf dem Kopf durchs All fliegt, um riesige Raumschiffe wegzufegen. Und das ist eben auch wieder klassisches Hollywoodkino. „Was uns nicht umbringt, macht uns stark!“, früher kämpfte sich Rocky aus den Seilen in den Ring, heute ist es Captain Carol Denver, die sich Rotz und Blut von der Nase wischt und doppelt so hart zurück schlägt. Glücklicherweise gab es da noch diese Energiewelle und das harte Training, aber an sich – ja - Frauenpower voraus! Und gute, mutige Drehbücher hervor! 

Kleine Abschlussanekdote zum Ende: Zum Sandalenfilm »300« nutzten die Schauspieler um Oberspartaner Gerard Butler jede ihrer Drehpausen, um sich gegenseitig beim Kraft- und Kampftraining zu übertreffen, bei »Wonder Woman« berichteten die Teilzeitamazonen, wie kuschelig die gemeinsame Zeit im Hotel war, wie man im Spa entspannte und lustige Mädchenabende abhielt. Und so war der eine Film ein bildgewaltiges Spektakel muskelglänzender Kämpfer, der andere ein keusches Urlaubsvideo aus Lesbos.  

Pinselbube

https://disney.de/filme/captain-marvel