9. Dezember 2021
Und das Kind in den ZuschauerInnen ruft lauthals durch den Kinosaal: Nochmal! Nochmal!

Lieber Thomas, Du wirst es nicht glauben, Du bist jetzt ein Film. Ein Cinemascope-Erlebnis, dessen schwarzweiße 160 Minuten recht bunt von unserem Land erzählen und dabei der Fantasie ordentlich Treibstoff liefern. Mittendrin die Kreuzberg-Göre Jella und Albrecht, ein angesagter Kino-System-Sprenger. Für mich das Liebespaar des Jahres. Stell dir vor, Du, der Du selbst nie zu einer Geschichte werden wolltest, füllst 20 Jahre nach Deinem Tod deutsche Leinwände in West und Ost. Aber ich will ehrlich sein: Der Herbst ist grau, die Menschen sind müde, und dann ist da noch diese lästige Krankheit. Straßentumulte gab es wegen einem wie Dir schon lange nicht, auch keine an der Kinokasse. Wer sich aber Deine Lederjacke überstreifen mag, wer verstehen will, wie Du dich beim Geliebtwerdenwollen ein Leben lang unbeliebt gemacht hast, findet sich wieder in einer lustvoll inszenierten Welt.
Doch um Himmels Willen! Wie schreibe ich einem Dichter, der im Gehen, Sitzen, Liegen Verse schliff, deren Silben so scharf schienen, dass es die Anführer des Landes vorzogen, diese nicht zu drucken. Weil sie blind waren, die Liebeserklärungen darin zu entdecken. Einem Sohn, dessen Vater ihm das Land zu Füßen legen wollte, mitten in einer Zeit, als es schon mit solchen getreten wurde. Einem Autor, der nun doch als „das Schnitzel auf unserem Teller“ liegt. Aber gräme Dich nicht, lieber Thomas. Der Wendrich, „der Kellner“, bekam sein Trinkgeld von mir schon doppelt und der Kleinert, „der Menschenfresser“, wollte keinesfalls, dass das Mahl allzusehr nach Dir selbst schmeckte. Staunend spazieren gehen wollten sie in Deiner Geschichte, fast wie der kleine »Paul allein auf der Welt«. Schon mit dem ersten Filmbild, der Dichter schreibt seiner liebsten Muse ein Stück auf den nackten Leib, verkünden beide, Autor und Regisseur, lustvoll, dass sie es ernst mit Dir meinen; Der Film ist ein Gedicht.
Jede einzelne Szene steht für sich. Wühlt auf, wie eine Zeile von Deinen Versen. Gleich die erste kaut wütend Glas und spuckt Blut, wenn die Kadettenschule Kinder bricht. Andere hallen nach wie Schüsse oder taumeln zu Boden wie Flugblätter. Unter einem Soundtrack nicht von der Stange, mäandern kluge Dialoge vor und zurück. Hier blitzen kleine DEFA-Verbeugungen, dort große Lust am Surrealismus à la Buñuel. Oder à la Brasch, wenn Du so willst. Sagte ich lustvoll, lieber Thomas? Ja, so gehen sie mit Deinen Worten um. Liebevoll und respektlos. Sie kratzen sie von dem weißen, glatten Schreibmaschinenpapier wieder ab und werfen sie in die staubig kachelwarmen Räume, wo du an den Frauen und den Versen feilst. Sie haben Spaß daran, Dir die Worte wieder zurück in Deinen Mund zu legen. Sie dem Landesverräter an die Zellenwand zu ritzen oder dem werktätigen Fräser eilig in die Suppe zu spucken. Buchstabensuppe mit ordentlich Knochen dabei, natürlich lecker Fleisch darunter. Manche Bilder kann ich jetzt noch schmecken; ihren Geruch nach Sprelacart, Waschsand, oder Kohlebriketts. Einmal erschrecke ich. Als mir klar wird, ja, so war das Land. Ein kaputter Wasserhahn, der Tag und Nacht lief. Statt ihn zu reparieren, wurde ein Eimer untergestellt. Aber ich schweife ab.
Eben noch bist du die Welt, lieber Thomas, und schon die Landkarte. Aber da sei ganz unbekümmert, dieser Thomas Wendrich, der Dir seit seiner Zeit als Schauspieler am BE nachgespürt, jegliches verträumte Kantinen-Raunen über Dich aufgesogen und an seinen Spiegel gekritzelt hat, war von Beginn an Feuer und Flamme. Und glaub mir, der weiß, wie man ein Drehbuch entzündet. Sein »Je suis Karl« würdest du lieben. Als Deine kleine Schwester die Ruhe nicht mehr aushielt und von Dir und Klaus, und von Horst, Gerda und Peter erzählte, da setzte sich der Wendrich also hin und ließ die Figuren alle antanzen. Dass er sich ausgerechnet mit dem Regisseur Andreas Kleinert zusammentat, ist ein großes Glück. Und nährt die Hoffnung, dass die Zeit der Grenzübergangskomödien und Stasidramen vorbei ist. Wenn sich die Traumsequenzen des Autors Brasch charmant unter jene des Autors Wendrich und des Regisseurs Kleinert mischen, funkelt ein kleiner Kinodiamant. Und das Kind in den ZuschauerInnen ruft lauthals durch den Kinosaal: Nochmal! Nochmal!
Sei herzlich gegrüßt von Rollo Tomasi
P.S. Hör Dir mal »Woanders« von Masha Qrella an!
Doch um Himmels Willen! Wie schreibe ich einem Dichter, der im Gehen, Sitzen, Liegen Verse schliff, deren Silben so scharf schienen, dass es die Anführer des Landes vorzogen, diese nicht zu drucken. Weil sie blind waren, die Liebeserklärungen darin zu entdecken. Einem Sohn, dessen Vater ihm das Land zu Füßen legen wollte, mitten in einer Zeit, als es schon mit solchen getreten wurde. Einem Autor, der nun doch als „das Schnitzel auf unserem Teller“ liegt. Aber gräme Dich nicht, lieber Thomas. Der Wendrich, „der Kellner“, bekam sein Trinkgeld von mir schon doppelt und der Kleinert, „der Menschenfresser“, wollte keinesfalls, dass das Mahl allzusehr nach Dir selbst schmeckte. Staunend spazieren gehen wollten sie in Deiner Geschichte, fast wie der kleine »Paul allein auf der Welt«. Schon mit dem ersten Filmbild, der Dichter schreibt seiner liebsten Muse ein Stück auf den nackten Leib, verkünden beide, Autor und Regisseur, lustvoll, dass sie es ernst mit Dir meinen; Der Film ist ein Gedicht.
Jede einzelne Szene steht für sich. Wühlt auf, wie eine Zeile von Deinen Versen. Gleich die erste kaut wütend Glas und spuckt Blut, wenn die Kadettenschule Kinder bricht. Andere hallen nach wie Schüsse oder taumeln zu Boden wie Flugblätter. Unter einem Soundtrack nicht von der Stange, mäandern kluge Dialoge vor und zurück. Hier blitzen kleine DEFA-Verbeugungen, dort große Lust am Surrealismus à la Buñuel. Oder à la Brasch, wenn Du so willst. Sagte ich lustvoll, lieber Thomas? Ja, so gehen sie mit Deinen Worten um. Liebevoll und respektlos. Sie kratzen sie von dem weißen, glatten Schreibmaschinenpapier wieder ab und werfen sie in die staubig kachelwarmen Räume, wo du an den Frauen und den Versen feilst. Sie haben Spaß daran, Dir die Worte wieder zurück in Deinen Mund zu legen. Sie dem Landesverräter an die Zellenwand zu ritzen oder dem werktätigen Fräser eilig in die Suppe zu spucken. Buchstabensuppe mit ordentlich Knochen dabei, natürlich lecker Fleisch darunter. Manche Bilder kann ich jetzt noch schmecken; ihren Geruch nach Sprelacart, Waschsand, oder Kohlebriketts. Einmal erschrecke ich. Als mir klar wird, ja, so war das Land. Ein kaputter Wasserhahn, der Tag und Nacht lief. Statt ihn zu reparieren, wurde ein Eimer untergestellt. Aber ich schweife ab.
Eben noch bist du die Welt, lieber Thomas, und schon die Landkarte. Aber da sei ganz unbekümmert, dieser Thomas Wendrich, der Dir seit seiner Zeit als Schauspieler am BE nachgespürt, jegliches verträumte Kantinen-Raunen über Dich aufgesogen und an seinen Spiegel gekritzelt hat, war von Beginn an Feuer und Flamme. Und glaub mir, der weiß, wie man ein Drehbuch entzündet. Sein »Je suis Karl« würdest du lieben. Als Deine kleine Schwester die Ruhe nicht mehr aushielt und von Dir und Klaus, und von Horst, Gerda und Peter erzählte, da setzte sich der Wendrich also hin und ließ die Figuren alle antanzen. Dass er sich ausgerechnet mit dem Regisseur Andreas Kleinert zusammentat, ist ein großes Glück. Und nährt die Hoffnung, dass die Zeit der Grenzübergangskomödien und Stasidramen vorbei ist. Wenn sich die Traumsequenzen des Autors Brasch charmant unter jene des Autors Wendrich und des Regisseurs Kleinert mischen, funkelt ein kleiner Kinodiamant. Und das Kind in den ZuschauerInnen ruft lauthals durch den Kinosaal: Nochmal! Nochmal!
Sei herzlich gegrüßt von Rollo Tomasi
P.S. Hör Dir mal »Woanders« von Masha Qrella an!
https://www.wildbunch-germany.de/movie/lieber-thomas
