Poor Burp!
Er hat 2023 den Goldenen Löwen in Venedig abgeräumt und mehrere Golden Globes eingeheimst. Yorgos Lanthimos neuer Film »Poor Things« wird schon mal als Fortschreibung von Greta Gerwigs »Barbie« mit anderen Mitteln gehandelt, als feministischer Geniestreich gar und auch schon als Film des Jahres 2024 ausgerufen. Warum nur?
Die Geschichte der schwangeren Selbstmörderin Bella Baxter, der von einem durchgeknallten Arzt das Gehirn ihres ungeborenen Babys implantiert wird, schien eine Steilvorlage für den ambitionierten Regisseur (»The Lobster“, »The Favourite«), der über Jahre seinen ganz eigenen Stil entwickelt hat, skurril, pointiert und abgründig.
Wer sind die titelgebenden »Poor Things«? Die Hauptfigur Bella Baxter und ihre namenlosen Gefährtinnen oder die machtvollen Männer, die an einer von gesellschaftlichen Normen vollständig unabhängigen Frau wie Bella scheitern, einer Frau, für die Konventionen keinerlei Bedeutung haben. Oder geht es um die traurigen gesellschaftlichen Systeme, in denen sich die Menschheit eingerichtet hat? Die große Stärke des Films ist die Verweigerung konkreter Zuschreibungen zugunsten vieler Lesarten. Zu blöd, dass Lanthimos die Selbstermächtigung seiner starken Figur ausschließlich über deren sexuelles Erwachen abhandelt und der Film trotz seines Ausstattungswahnwitzes ins Eindimensionale driftet. Zu Beginn noch beiläufig thematisiert, entwickelt sich Bellas Sexualität zum roten Faden des Plots, der zielgerichtet in ein Pariser Bordell führt und dort lange verweilt. Auf widerlichen Freiern, einer manipulativen Bordellbesitzerin und den sozialistischen Idealen einer Prostituierten, die Bellas Kampf gegen die Ungerechtigkeit des Systems befeuern sollen. Emma Stone wirft sich in ihre Figur, spielt kraftvoll und ungehemmt, doch ihr Spiel und der feministische Grundton von Tony McNamaras Drehbuch kommen nicht gegen den argen Voyeurismus an, der den Film zunehmend dominiert. So entwickelt sich »Poor Things« zu einem reinen Schauermärchen für Erwachsene, mit dekadenten Fabelwesen, Softporno-Einlagen, Jugendstilverschlingungen, Fish-Eye-Lens-Verzerrungen und einer großen Portion Sozialkitsch. Eine Augenweide, das ja, der ganze Oberflächenglanz und die eine oder andere moderates Wonnegrausen auslösende Horror-Einlage. Viel Form, aber inhaltlich so leer, wie die schillernden Rülpsblasen aus dem Munde des armseligen Monster-Doktors, dem Willem Dafoe mit verzweifelter Grandezza Tiefe zu verleihen versucht.
Grit Dora