Mit dem Smartphone das Märchenland aufmischen – Er ist wieder da.

Er ist wieder da. Bora Dagtekin, Experte für niedrigschwellige Komödien mit eher holzschnittartigem Humor. Ein bisschen Statistik: Sechs Filme hat der Mann bislang gedreht. Und auch »Chantal im Märchenland«, Spin-off der »Fack ju Göthe«-Trilogie hat, wie Dagtekins fünf andere Produktionen, die 2-Millionen-Besucher-Marke geknackt. Das muss man erstmal hinkriegen.
Zur Sache. Chantal Ackermann, Gerade-noch-so-Abiturientin hat es nicht geschafft, sich für eine Ausbildung zu bewerben, aus Angst vor einer möglichen Ablehnung – und aus Bequemlichkeit. Lieber träumt sie von einem Leben als erfolgreiche Influencerin, aber mit 300 Followern ist das schwierig. Als sie mit ihrer besten Freundin Zeynep in einen trödeligen Zauberspiegel fällt, ändert sich alles. Chantal landet als Dornröschen-Version im superpatriarchalen Grimmschen Märchenland. Allenthalben begegnet sie schwertbehangenen Männern, die ihr klarmachen wollen, wie es hier läuft. Schön aussehen, lächeln und schweigen. Vor allem letzteres ist nicht ihr Ding und bei aller Freude am Prinzessinnen-Look, siegt am Ende stets Chantals unkonventionelle Selbstermächtigungsstrategie über die nervigen Dudes, die ihren Weg säumen. Der Kampf ist hart, zumal die Prinzessin aus der elektrischen Welt ihre Kuschelzone schwer vermisst – wie soll man leben ohne Drogeriemarkt? Noch schlimmer ist nur ein leerer Akku. Chantals Superwaffe gegen die Zumutungen der Märchenkönige, Ritter und Drachen ist natürlich – ihr Smartphone. Als sie rausgefunden hat, wie sie es im steckdosenlosen Märchenland aufgeladen kriegt (schöner Regieeinfall!), lässt sie es krachen. Und fummelt sich nebenbei noch ihr Bewerbungsvideo für den nächsten Influencerinnen-Contest zurecht.
Soweit klingt das leicht und heiter, zumal Jella Haase als Chantal von ihren Freunden Gizem Emre und Max von der Groeben aus der alten Göhte-Reihe fröhlich flankiert wird. Auch Elyas M'Barek taucht als Lehrer Zeki Müller kurz auf und spricht seltsam vernünftiges Zeugs in Sachen Ausbildung. Will bloß keiner hören. Frederik Lau gibt als tumber Ritter Artolf die stumpfe Folie, vor der Neueinsteiger Mido Kotaini als Aladin glänzen kann. Da tummelt sich ein Ensemble mit extremem Spielspaß.
Also alles gut? Nicht so ganz, weil: Brachialer Humor ja, gut, aber endloser Flachwitz nö, schwierig. Der macht durch seine penetrante Allgegenwart den Spaß am Zuschauen kaputt, weil er an Nötigung grenzt. Das ist dann so langweilig, wie der ganze Film überhaupt einfach zwanzig Minuten zu lang ist. War da jemand zu verliebt in seine eigenen Einfälle? Die grandiose Unbekümmertheit der Göthe-Filme (zumal der ersten beiden) ist bei »Chantal im Märchenland« flöten gegangen. Dagtekin hat nach seinem alten Rezept einen neuen Blockbuster konfiguriert und dabei mächtig übertrieben. So schade! Jella Haase hätte man ein bisschen Mehrdimensionalität gegönnt, Chantals Plattenbau-Charme hätte das keinerlei Abbruch getan, im Gegenteil. Die von Drehbuch und Regie verordnete Extrem-Kasperei schwächt auch die anderen Figuren.
Aber herrjeh, man hat die Göhte-Truppe vor elf Jahren überraschenderweise so heftig ins Herz geschlossen, dass man ihnen den Overload nicht übelnehmen mag. Der zu viele Scheiß, um es mal mit Chantal zu sagen, wird einfach weggeatmet. Bei Bora Dagtekin ist jetzt einfach eine Mittelreduktionskur überfällig, kombiniert mit einem Praktikum in der Arthouse-Nische. Den Mentor könnte Oskar Roehler machen. Das wäre doch mal eine klassische Win-Win-Situation. Viel Glück! Danach bitte gern die nächste Kino-Prophezeitung erfüllen und einen neuen Blockbuster raushauen!
Grit Dora
http://constantin.film/kino/chantal-im-maerchenland/
