20. September 2012

Depp mit Kater

Klingt wie »Fear and Loathing in Las Vegas«, nennt sich 2012 aber »The Rum Diary“«
Depp mit Kater
Johnny Depp im Alkohol- und Drogenrausch nach einer Vorlage von Hunter S. Thompson: Klingt wie »Fear and Loathing in Las Vegas«, nennt sich 2012 aber »The Rum Diary«. Ob der Film qualitativ mit seinem Vorgänger mithalten kann, darüber streiten zwei Redakteure des Kinokalender Dresden.

Pro:
„Im Rum liegt die Wahrheit“ möchte man meinen, wenn man Bruce Robinsons „The Rum Diary“ halbwegs bei Sinnen überlebt hat. Es könnte aber auch heißen „Alkohol macht diese böse Welt erträglich“. Denn was oberflächlich als amüsantes Delirium eines trinkfesten amerikanischen Journalisten im Puerto Rico der 1960er Jahre daherkommt, ist gespickt mit feinen, fiesen Kommentaren zur Überheblichkeit der menschlichen Spezies, die geldgeil und rücksichtslos im Paradies Erde wütet.

In »Rum Diary« absolviert Johnny Depp seinen zweiten Auftritt in einer von Hunter S. Thompson verfassten Geschichte. 13 Jahre nach seinem denkwürdigen Auftritt in »Fear and Loathing in Las Vegas« spielt er hier einen nicht weniger den Halluzinogenen zugewandten, gescheiterten Autor namens Paul Kemp. Der heuert bei einer drittklassigen Zeitung auf der immer warmen Insel an und soll dort mit frischem Wind und spitzer Feder das Überleben des Blattes sichern. Seine „Recherchen“ bestehen dabei zunächst hauptsächlich aus Trinken und Feiern, bis er von dem Geschäftsmann Sanderson (Aaron Eckhart) für einen zweifelhaften Privatauftrag engagiert wird. Allerdings beschäftigt Kemp weniger sein schlechtes Gewissen als vielmehr das süße Lächeln von Sandersons Anhang, der schönen Chenault (Amber Heard).

Auch wenn Depp in vier »Fluch der Karibik«-Filmen den stets schwankenden, etwas entrückten Charakter perfektioniert hat, ist sein Auftritt in »Rum Diary« keine bloße Wiederbelebung von Captain Jack Sparrow. Zwar ist er im Grimassen schneiden, Torkeln und lustig Nuscheln immer noch unverwechselbar, doch statt einer bloßen Nummernrevue würzt Autor/Regisseur Robinson sein Drehbuch immer wieder mit schmerzhaft deutlichen Worten, die den konstanten Kolonialisierungstrieb des Menschen thematisieren, während die einheimische Kultur und der Lebensraum der Mittellosen vor die Hunde geht.

Sicherlich keine neue Erkenntnis, aber derart witzig verpackt kommt Kritik am „American Way of Life“ selten daher. Es ist schlicht eine Freude, Depp beim Wanken, (meist unfreiwilligen) Ausnüchtern und „Denken“ *hüstel* zuzuschauen. So wirkt der Film trotz inhaltlicher Entfernung über weite Strecken wie die „Erwachsenenversion“ von »Fear and Loathing«: weniger durchgeknallt, aber immer noch von Rausch zu Rausch hechelnd und irgendwie ambitioniert.

Das große Plus des Films ist die Tatsache, dass er trotzdem vordergründig stets auch als beschwingte, sommerliche Komödie funktioniert. Ob lupenreiner Slapstick im sitzlosen Auto, ‚Fern‘sehen im wortwörtlichen Sinne (mangels eigener Flimmerkiste schaut man mittels Ferngläser auf den Apparat des Nachbarn), oder verbale Gewehrsalven der Marke „Du bist eine Verschwendung von menschlichem Samen“: Es darf gelacht werden, und zwar nicht zu knapp.

Mag sein, dass für den einen oder anderen Zuschauer diese ‚politische Botschaft‘ ein wenig aufgesetzt wirkt und das Ende dann auch nicht die zu erwartende Erleuchtung und Weltverbesserung bereithält. Doch für einen Film, dessen Hauptakteur zwei Stunden lang säuft und vernebelt durch die Botanik wankt, ist dieser (zugegeben amüsante) Exkurs auf die dunkle Seite des Paradieses doch immens. Prost!
Csaba Lázár

Contra
Depp mit Kater an der teilzerstörten Minibar, Depp mit Rumflasche im Tretboot bei Abendrot. Amber Heards perfektes Stupsnäschen taucht auf und er ist hin. Johnny Depp ist Paul Kemp und Paul Kemp ist Hunter S. Thompsons Alter Ego in dessen posthum veröffentlichtem »Rum Diary«.
Die Verfilmung muss Depp sehr am Herzen gelegen haben, er war ein Freund des Autors und Journalisten – und vor allem wohl des wilden Kerls Thompson. Man spürt seinen Drang, Thompson gerecht zu werden und gleichzeitig eine Lanze zu brechen für die paar handverlesenen Typen auf der Welt, die sich nicht vereinnahmen lassen. Und zu denen er sich vermutlich auch zählt. Also ein Film über drei unangepasste Kerle, die Puerto Ricos Sackgassen erkunden. Die Liebe des Helden zu der einen wunderschönen Frau ist eine unerlässliche Zutat. Ganz am Rande findet holzschnittartig angelegte Kapitalismuskritik statt. Die Hauptsache ist aber doch, dass konsequenter Umgang mit Alkohol das Leben ungleich schöner und spannender macht. Kemp, der begabte aber absturzgefährdete Schreiber und seine ungleichen Kollegen Sala und Moberg machen dem Filmtitel in Sachen Rumkonsum alle Ehre. Michael Rispoli zeichnet den Fotojournalisten Sala als fatalistisch vor sich hinwurstelnden Brummbär. Schon ewig in Puerto Rico, kennt er sich bestens aus mit Polizei, Hahnenkampf und Sprache. Weil man nicht ununterbrochen trinken kann, ohne was zu essen, gibt er die Bestellung auf. Das klingt dann so: „Dos Burger!“ »Rum Diary« hat schon einige komödiantische Momente. „Hören wir ein bisschen Adolf.“, nuschelt Giovanni Ribisi als unkündbares Kriminalreporterwrack Moberg mit der Vorliebe für Nazi-Devotionalien. Sein aberwitziges Sprachgeblubber ist klasse, aber Brad Pitt hatte in »Snatch« die besseren Kieselsteine im Mund.

Die Zeitung, für die alle drei arbeiten, ist kurz vor der Pleite, Puerto Rico sowieso Scheiße, doch die skurrile Wohngemeinschaft funktioniert und Hahnenkampf macht Spaß. Fragt sich nur, wo der Kemp immer die weißen Hemden hernimmt in diesem Drecksloch von Wohnung. Auch wenn er dreckig sein soll, bleibt Johnny Depp makellos frisch. Inhaltlich kommt das schon hin. Paul Kemp soll ob seiner guten Schreibe vom Establishment korrumpiert werden, zieht aber rechtzeitig die Notbremse. Sein Herz schlägt links und er bleibt sauber. Die Entscheidung, politisch aktiv zu werden, kommt ziemlich plötzlich und schwer romantisiert daher und mündet in ein superkitschiges Finale. Der allzeit propere Held segelt auf einer geklauten Yacht in den Sonnenuntergang. Das Bild ist nur als »Fluch der Karibik«-Zitat auszuhalten. In diesem ganz auf ihn zugeschnittenen Film bleibt Johnny Depp immer der schöne Mann ohne Untiefen. Die wirklich wilden Kerle wohnen offenbar woanders. Kein Vergleich zu »Fear and Loathing in Las Vegas« der anderen Hunter S. Thompson-Verfilmung. Terry Gilliams Film war ein Wagnis, ein Statement gegen die Regeln. Und Depp trug die Thompson-Glatze als Gegengift zur verführerischen Aalglätte.

»Rum Diary« hingegen ist eine nette Schmonzette, ein Aufreger für Zwölfjährige. Prädikat: „besonders harmlos“.
Grit Dora