7. August 2019

Gelungene Hommage an die Musik der vier Pilzköpfe?

»Yesterday« - Nationales Heiligtum oder umarmendes Kino?
Gelungene Hommage an die Musik der vier Pilzköpfe?

Ein Film zum Vergessen oder gelungene Hommage an die Musik der vier Pilzköpfe? Die Redaktion des Kinokalender Dresden ist sich uneins.

Pro:

Als „National Treasure“ (sinngemäß: nationales Heiligtum) wurde der britische Regisseur Danny Boyle einmal im Rahmen eines Porträts von einer Filmzeitschrift bezeichnet. Zu Recht, hat er doch mit kultigen Streifen wie »Trainspotting«, »28 Days Later« und »Slumdog Millionär« weltweit Erfolge gefeiert und seine Landsleute mit Stolz erfüllt. Was ihn somit zum idealen Regie-Kandidaten für einen Film über ein anderes britisches Kulturphänomen macht: den Beatles.

 

Das Problem, mit dem Hauptfigur Jack (wunderbar sympathisch: Himesh Patel) in »Yesterday« konfrontiert wird: Nach einem weltweiten Stromausfall scheint sich plötzlich niemand mehr an die Sgt. Pepper’s Lonely Hearts Club Band zu erinnern. Zunächst fühlt sich Jack wie The Fool on the Hill, doch dann macht sich der zuvor erfolglose Musiker das Unwissen der Anderen zunutze und beginnt eine überaus erfolgreiche Magical Mystery Tour um den Globus.

 

Vom Nowhere Man zum Sun King in wenigen Monaten: Im Grunde erzählen Boyle und sein Autor Richard Curtis noch einmal die steile Karriere der Fab Four in Gestalt von Jack nach. Das Hauptdarsteller Patel indischer Abstammung ist, kann man dabei gern als kleinen Stinkefinger in Richtung all jener Mini-Trumps dieser Welt verstehen, die die Nationalität einer Person nur auf das äußere Aussehen begrenzen. Wie schön, dass ausgerechnet dieser Engländer zum Retter des britischen Musikschatzes wird!

 

Aber genügt es, herausragende Songs in petto zu haben und auf der Gitarre zu klimpern? War der Erfolg der Beatles-Mucke womöglich nur in Kombination mit den vier Spaßvögeln John, Paul, George & Ringo möglich? Eine Frage, mit der »Yesterday« hadert: Zwar wird Jack dank der eingängigen Melodien zum Star, aber ohne a little help from his friends, namentlich seiner Managerin Ellie (Lily James), hätte er das Musizieren schon lange vorher aufgegeben. Und dann wäre da noch die kaltschnäuzige Debra, von Kate McKinnon als herrlich böses und geldgieriges Abziehbild eines skrupellosen Kapitalisten dargestellt. Sie weiß, welche Hebel zu bedienen sind, um dem Volke einen Nobody schmackhaft zu machen. Wenig subtil das Ganze, aber zum Schreien komisch.

 

Ein weiteres Schmankerl: Zumindest in der englischen Originalversion sind etliche Dialoge mit Songzeilen aus diversen Beatles-Klassikern gespickt, die vor allem Fans ein Lächeln aufs Gesicht zaubern. Mitraten darf man übrigens auch: Wie ging nochmal der Text von „Eleanor Rigby“? Sehr zur Freude des Zuschauers bebildert Regisseur Boyle Jacks textlichen Unsinn gleich mit. Kleine Spitzen wie diese oder der bewusste Einsatz von Songs wie „Help!“ in Momenten, in denen Jack – ähnlich John Lennon, als er das Lied komponierte – dem ganzen Medienzirkus entfliehen will, zeigen zudem, dass hier eingefleischte Beatles-Kenner am Werk waren.

 

Bleibt noch über jene besondere Szene zu sprechen, die offenbar nicht jedem Zuschauer schmeckt (Achtung: Spoiler!): Jacks Besuch bei einem ruhigen Mann mit Brille, der in der realen Welt außerhalb des Kinosaals bereits 1980 sein Leben verlor. Sakrileg sagen die einen, Verbeugung vor einem besonderen Menschen die anderen. Ich tendiere zu letzterem. Nur hätte ich mir gewünscht, dass dem anderen verstorbenen Beatle ebenso eine solche Extra-Szene gewidmet worden wäre. Ein kleiner Wermutstropfen in einem ansonsten vor Liebe zur Musik und zu den Beatles sprudelnden Film. Ja, I feel fine!
Csaba Lázár

 

Contra:

Durch einen kurzen weltweiten Stromausfall stößt der Menschheit ein winziger, aber wesentlicher Datenverlust zu: Die Existenz der Beatles und ihres Œuvres wird komplett von den Festplatten dieser Welt und aus dem kollektiven Gedächtnis gelöscht – nur der junge unbekannte Musiker Jack kann sich noch an die Pilzköpfe erinnern. Sein Herrschaftswissen wird Jack bewusst, als er sich bei seiner Managerin Lily auf der von ihr gekauften Gitarre mit „Yesterday“ bedanken will. Toller Song, sagt sie, wann hast du den geschrieben? Jack, erfolglos, aber nicht blöd, geht der Sache nach, tatsächlich scheint kein Mensch außer ihm Bescheid zu wissen. Also gibt er die berühmten Songs als seine eigenen aus. Ausgerechnet Ed Sheeran entdeckt ihn und tritt damit eine Lawine los... Jack wird handstreichartig berühmt. Mit den üblichen Nebenwirkungen, vor allem aber mit einem maximal schlechten Gewissen gegenüber den unbekannten Urhebern. 

Drehbuchautor Richard Curtis, bekannt für romantische Komödien (»Notting Hill«) und der fabelhafte Danny Boyle (keiner, auch Boyle selber nicht, ist es seit »Trainspotting« gelungen, einen ähnlich wahnsinnigen Film zu machen) bauen eine fantastisch gute Idee zum Inbegriff eines Feelgood Movies aus – wenn die Bezeichnung nicht schon existieren würde, wäre es jetzt an der Zeit, sie zu erfinden. 

 

»Yesterday« ist der Inbegriff des umarmenden Kinos und punktet mit dem gut in Szene gesetzten Plot und einem prima Cast. Himesh Patel und Lily James als Jack und Lily spielen natürlich und souverän. Ed Sheeran stellt sich als Ed Sheeran mit viel Understatement und noch mehr Selbstironie zur Verfügung. Joel Fry gibt als Jacks Sidekick Rocky ein paar schräge Töne dazu, damit es nicht ganz arg glatt wird. Rutschgefahr besteht leider. »Yesterday« verschenkt jede Menge Chancen, gesellschafts- oder wenigstens Musikbusiness-kritisch zu sein, absurd oder alltäglich – kein Hauch von Dreck nirgends. Kate McKinnon als Jacks gierige Managerin müht sich redlich, darf aber nur Karikatur sein. Das es neben dem Verlust der Beatles-Datensätze noch weitere Kollateralschäden im Netz gibt (Oasis, Coca Cola, Harry Potter) hätte durchaus Sprengkraft entfalten können. Doch Boyle und Curtis setzen in der zweiten Hälfte gänzlich auf den (sehr vorhersehbaren) Verlauf der Liebesgeschichte. Gähn, gähn, gähn.

 

Was dennoch haften bleibt, ist Danny Boyles außergewöhnlich liebevoller Blick auf Menschen. Wie er in einer kurzen Szene die Alpträume Jacks, seine rasende Angst aufzufliegen, in der Zuneigung zweier Mitwissender auffängt, die sich dafür bedanken, dass er die Musik der Beatles am Leben erhält, ist herzerwärmender als der ganze auserzählte Beziehungsschmus.
Grit Dora 

https://www.universalpictures.at/yesterday